die Furche - 91

Schafft sich Europa ab?

 

Vor wenigen Tagen ging ein Agenturfoto durch die Weltpresse, auf dem zu sehen war, wie Barack Obama Bob Dylan, dem rebellischen Idol meiner Jugendzeit, die „Presidential Medal of Freedom“ um den Hals legt. Der mit einer schlecht sitzenden Smoking-Masche dekorierte Dichter-Sänger machte dabei hinter seinen dunklen Sonnenbrillen einen so zerknitterten und unfrohen Eindruck, als wollte er die Zaungäste der etwas traurigen Ehrung mit der Frage konfrontieren, was aus den politischen Träumen seiner/unserer Generation geworden ist.

 

Ich hätte ihn gerne aufgemuntert und entgegenhalten, dass wir heute in einer viel offeneren Gesellschaft leben, mit vielen selbstverständlichen Freiheiten, die damals erst aufkeimten und umstritten waren. In einem zentralen Bereich des Politischen jedoch, in der europäischen Sache, trifft seine Mimik ins Schwarze. Denn wir sind gerade dabei, das über Jahrzehnte Hinzugewonnene aufs Spiel zu setzen.

 

Als ich zu Ende der Sechzigerjahre maturierte, war Österreichs Beitritt zur Europäischen Union noch in weiter Ferne. Erste Bemühungen um Annäherung waren gerade an der Südtirol-Frage gescheitert. Der Kalte Krieg war eine Konstante, die das Gleichgewicht des Schreckens in einer bipolaren Welt garantierte. Niemand hätte vom Wunder des Falls des Eisernen Vorhangs zu träumen gewagt. Nach 1989 dann führte die Dynamik der Öffnung und Erweiterung mit der Zwischenstation der erfolgreichen Beitritts-Volksabstimmung in ein immer größeres, integriertes Europa. Nun aber droht der tragende Handlungsbogen dieser letzten Jahrzehnte abrupt zu brechen.

 

Seit der Zuspitzung des Griechenland-Problems verschärft sich die Vertrauenskrise. Das Tempo der Verwerfungen in den Finanzmärkten überfordert seither nicht nur die von hochmögenden Experten allein gelassenen Entscheidungsträger, sondern auch uns europäische Bürger. Tägliche Meldungen über wieder verteuerte Anleihekosten für die südlichen Euro-Länder, beginnende Kapitalflucht und neuerliche Bankenkrisen machen offensichtlich, dass die durch den Merkel´schen Fiskalpakt und die Geldflut der Europäischen Zentralbank erkaufte Zeit nicht reichen wird, um eine schrittweise Beruhigung herbeizuführen. Grundsatzentscheidungen für oder gegen eine Fiskalunion stehen an, für deren Vorbereitung der politische Atem womöglich nicht mehr reicht.

 

Der Streit zwischen Befürwortern und Gegnern des Schuldenpakts ist ein Scheingefecht auf einer Nebenfront, das zum irreführenden Schluss verleitet, das Wachstum einer Volkswirtschaft hinge einzig und allein von der Höhe der öffentlichen Ausgaben ab. Und der ehemalige Notenbankmanager Sarrazin tut in seinem neuen Buch so, als hätten wir heute noch die Option, ohne größere Kosten aus dem Euro auszusteigen. Konkrete Schritte aus der jetzigen Situation aber nennt er nicht. Damit liefert er seinen Beitrag zu einem ziemlich schlechten Stück mit dem Titel „Europa schafft sich ab“. Das Zeitfenster für die Durchsetzung eines pro-europäischen Spielplans wird indessen immer kürzer.

06. Juni 2012

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