die furche - 75

Wake-up Call für das Bankensystem

 

Als der 31-jährige Derivate-Händler Kweku Adoboli vor wenigen Wochen in London 2,3 Mrd Dollar verzockte, erschien mir die Tatsache, dass das Bankensystem derartige Entgleisungen drei Jahre nach Beginn der Finanzkrise immer noch zulässt, beinahe skandalöser als das Versagen des überforderten Zauberlehrlings.

 

Nach wie vor produzieren an flüchtigen Kapitalmarktwerten orientierte Bilanzen Scheingewinne, die in der Krise abrupt korrigiert werden müssen. Wie absurd weitläufig die bilanzpolitischen Interpretationsspielräume sind, zeigen die jüngsten Beispiele österreichischer Großbanken. Und wie krass verfehlt das eigentlich zur Stabilisierung des Bankensystems geschaffene Regelwerk von „Basel II“ ist, lässt sich an der mittlerweile notverstaatlichten Dexia-Bank ablesen: noch vor drei Monaten hatte sie unter 91 Prüflingen den Stresstest der Europäischen Bankenaufsicht als Zwölftbeste bestanden. Stolze 14 Prozent betrug das ausgewiesene Eigenkapital, während das harte, in der Bilanz wirklich vorhandene Eigenkapital kaum mehr als drei Prozent betrug. Das Fremdkapital betrug ein Achtundzwanzigfaches davon.

 

Aber niemand schreit Halt! Wie in Trance halten die Ideologen der reinen Lehre an ihren längst falsifizierten Theoremen fest und argumentierten im Verein mit den internationalen Bankenlobbys für die Absicherung ungebremster Freiheit in den Spielhallen eines „Kasino-Kapitalismus“, der dabei ist, die Voraussetzungen freien, realen Wirtschaftens zu gefährden. Immer wieder wird die alte Behauptung wiederholt, es drohe eine Kreditverknappung, sobald man die Banken zu höheren Eigenmitteln zwingt.

 

Dieses Verhaltensmuster ist mittlerweile zu einem demokratiepolitischen Problem geworden. Denn wenn es auch diesmal wieder darauf hinauslaufen soll, dass Gewinne aus der Aufschwungphase den Spielern gehören, während im Abschwung zur Abwehr von Finanzkatastrophen öffentliche Haftungen zu leisten sind, wird es dafür nicht nur kein Geld mehr geben. Die Bürgerinnen und Bürger verweigern der Wiederholung einer derart asymetrischen Risiko-Verteilung zu Recht ihre Zustimmung.

 

Obwohl deren unmittelbare Folge, wird die Staatsschuldenkrise noch immer weitgehend isoliert von der Finanzkrise diskutiert. Die Bevölkerung aber spürt – auch ohne Kenntnis der näheren Zusammenhänge -, dass jede dauerhafte Euro-Lösung zwingend mit der längst überfälligen Disziplinierung des Finanzsystems einhergehen muss.

 

In der Formulierung des früheren deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler: „Dass Geld die Welt regiert, muss solange nicht beunruhigen, wie mit Geldschöpfung auch Wertschöpfung für die gesamte Gesellschaft verbunden ist. Davon haben sich aber Teile der sogenannten „Finanzindustrie“ verabschiedet. Die internationale Finanzkrise muss als Verpflichtung verstanden werden, den Primat der Politik gegenüber den Finanzmärkten durchzusetzen.“

 

Ich halte den Wake-up-Call, der zur Durchsetzung dieser Forderung von der Occupy-Wall-Street-Bewegung ausgeht, für einen unverzichtbaren Denk- und Handlungsanstoß.

 

20. Oktober 2011

download