die furche - 60

Fremdängstigen oder sich nahe bleiben

 

In diesen Tagen der Überflutung mit angstmachenden Informationen musste ich an den Beginn des Jahres 1991 zurückdenken. Der erste Golfkrieg dräute heran. Wochenlang überschattete die Berichterstattung über Kriegsvorbereitungen den Alltag. Als ich damals mit meiner Familie einen einwöchigen Urlaub auf den Kanaren verbrachte, erholten wir uns allein durch die plötzliche Abwesenheit von Information. Zeitungen gab es erst mit zweitägiger Verspätung und im „Insel-Kurier“ fanden sich nebst lokalen Neuigkeiten nur Hinweise auf bevorstehende Volksfeste. Das Internet war damals noch nicht erfunden. Von Dingen, die wir ohnehin nicht beeinflussen konnten, erfuhren wir kaum. Heute sehne ich mich wieder nach solchen Fluchtmöglichkeiten aus dem immer belastenderen Zustand des „Overnewsed but underinformed“.

Nein, ich plädiere natürlich nicht für Ignoranz und ich will auch nicht wegschauen, wenn es anderen schlecht geht. Aber ich meine doch, dass Neil Postman mit seiner Warnung recht hatte, dass wir dabei sind, uns zu Tode zu informieren. Wenn der amerikanische Medienökologe zu diesem Thema vor zwei Jahrzehnten auf Informatik-Kongressen referierte, erhielt er tosenden Applaus. Lange bevor die Informationstechnologien dafür sorgten, dass wir noch schneller über jedes Ereignis in entferntesten Weltecken informiert werden.

Das Auswahlproblem der Medien, die diese Informationen selektieren und gewichten ist seit damals exponentiell größer geworden. Unter dem Druck der kommerziellen Zwänge des „Infotainment“ (auch ein Begriff, den wir Postman verdanken) bestimmen sie indirekt ganz maßgeblich unseren emotionalen Haushalt. Denn es ist uns ja nicht egal, wenn Sondersendungen über die stockende lybische Revolution wegen der japanischen Dreifachkatastrophe eine ganze Woche lang in den Hintergrund gedrängt werden. Beide Ereignisse berühren uns und machen bewusst, dass unter ihrer Wucht andere, für die Betroffenen nicht weniger bedrohliche Fakten –etwa die Tyrannis an der Elfenbeinküste – verdrängt werden.

„Machen uns die Medien krank?“ fragte einst Erwin Ringel in Sorge um unser seelisches Gleichgewicht angesichts der kaum bewältigbaren Herausforderung, den Informations-Haushalt so zu führen, dass der Seelen-Haushalt nicht durcheinander kommt. Wenn all unsere Energien bereits für das Fremd-Ängstigen verbraucht sind, kommen wir nämlich kaum mehr dazu, uns gegenseitig nah zu bleiben und wahrzunehmen, was unseren Nächsten wichtig ist.

Ich glaube, wir dürfen nicht glauben, ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, wenn wir uns mitunter ganz auf den privat überschaubaren Sorgen- und Freuden-Raum zurückziehen, indem wir den Informations-Tsunami aussperren. Und es ist gut, nicht zuzulassen, dass uns wachsende Angst-Sucht Information zur Droge macht. Im „Global Village“ virtuell überall und zugleich nirgends mehr zu sein, könnte uns überfordern. Schon deshalb und damit wir das einfache Leben nicht verlernen, wäre ein neuer Anlauf in Richtung Medien-Ökologie überfällig.

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