die furche - 6

Mehr Europa ins Parlament

 

Dass die neue Bundesregierung auf Kooperation statt auf permanente Konfrontation angelegt ist, wird von Woche zu Woche glaubwürdiger. Zu wünschen ist, dass die nicht mehr in fruchtlosen Tageskonflikten gebundene Energie systematisch in die inhaltliche Vertiefung wichtiger Themen investiert wird.

 

Das verlangt zunächst nach Ernsthaftigkeit und Professionalität im politischen Tagesgeschäft. Also die Vermeidung von so bestürzenden Fehlleistungen wie der Kürzung von bisher für den Bereich Forschung und Entwicklung als sicher in Aussicht gestellten Budgetpositionen um zwei Milliarden Euro über die Legislaturperiode. Dieser folgenschwere Strickfehler im Arbeitsprogramm wird unverzüglich zu korrigieren sein, will die Regierung nicht ihre erst im Aufbau befindliche Glaubwürdigkeit riskieren.    

 

Über handwerkliche Solidität hinaus geht es aber in der Regierungsarbeit – gerade in Zeiten einer Systemkrise – um eine zusätzliche demokratiepolitische Qualität. Was ich damit meine, lässt sich gut am Beispiel der Europapolitik konkretisieren.

 

Die erschreckende Entfremdung vieler Bürger gegenüber „Brüssel“ hat ursächlich damit zu tun, dass wir die EU-Themen so behandeln, als würden sie irgendwo außerhalb unseres politischen Systems vorgegeben. Äußerst selten nur agieren wir als aktive Mitgestalter der europäischen Agenda. Es überwiegt der Eindruck einer unmündigen Unterworfenheit, aus dem sich billiges EU-kritisches Kleingeld für innenpolitische Profilierung schlagen lässt.

 

Mehr EU-Realitätsbezug wird in den ausgedünnten politischen Diskurs erst dann kommen, wenn eine breitere Öffentlichkeit aus allen Bereichen der Zivilgesellschaft an den maßgeblichen Themen Anteil nimmt. Ein nahe liegender Schritt dahin wäre die regelmäßige Einbeziehung unserer EU-Abgeordneten in den  parlamentarischen Prozess. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen unterbleibt diese auch medial attraktive Aufwertung bis heute. Im parlamentarischen Alltag kommen unsere EU-Parlamentarier einfach nicht vor.

 

Als vor nun auch schon wieder zweieinhalb Jahren im Parlament der letzte Europatag – erst der zweite nach dem Beitritt! – stattfand, war er bezeichnenderweise terminlich so angesetzt, dass er mit einer Plenarsitzung des EU-Parlaments kollidierte. Die nahe liegende Idee, den Europa-Abgeordneten Rederecht zu geben, lehnte der damalige Parlamentspräsident mit dem Argument ab, ein solches stünde ja auch Abgeordneten zum Nationalrat in den Landtagen nicht zu.

 

Die bevorstehende Wahl zum EU-Parlament wäre ein guter Anlass, die verstockten Spielregeln aus der Vor-Beitrittszeit endlich an die realpolitische Wirklichkeit anzupassen. Für diese überfällige demokratiepolitische Innovation spricht nicht nur, dass sie außer solider Vorbereitung einmal keine Zusatzkosten verursacht. Sie böte auch eine Chance, die Entfremdung gegenüber der EU durch eine verlebendigte parlamentarische Praxis zu minimieren. Damit wir auch bei Europa-Themen von der Konfrontation zur Kooperation kommen.

Dezember 2008

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