die furche - 3

Als das Denken noch geholfen hat

 

Als es wirklich nicht mehr länger aufschiebbar war, machte ich mich kürzlich wieder einmal daran, meine Studienbibliothek aufzuräumen. Wer sich solch novemberlicher Arbeit widmet, entscheidet in dichter Zeitfolge über Aufheben oder Entsorgen der überbordenden Exemplare. Zwar wanderte das meiste Zahlen- und damit Zeitgebundene ins Altpapier, aber erstaunlich viele Bücher schafften es, zu überleben. In manche davon vertiefte ich mich geradezu perlentauchergleich.

Der politische Diskurs der 70-er und 80-er erschien mir im Rückblick ebenso farbig, vielfältig und innovativ wie die Pop-Songs dieser Zeit. Politiker rechneten es sich zur Ehre an, als Autoren und Herausgeber von Sammelbänden zu Fragen der Zukunft zu firmieren. Die universitären Eliten, Journalisten und Experten aller weltanschaulichen Gruppierungen beteiligten sich gedankenvoll am publizistischen Ideenwettbewerb. Von Neisser bis Fischer, von Gmoser bis Krainer, von Tichy bis Millendorfer, von Havlik über Schulmeister zum leider allzu früh verstorbenen Egon Matzner, dem vorausdenkenden Mahner der aktuellen Systemkrise – es waren sehr viele, die etwas zu sagen hatten.

Müsste ich für diese schöpferische Phase des demokratie- und europapolitischen Aufbruchs eine Überschrift finden, sie würde wohl lauten: „Als das Denken noch geholfen hat“.

Im Vergleich dazu erlebe ich die politische Sphäre von heute mitunter als erschöpft und arm an Substanz. Unausgegorenes wird sofort medial verbreitet, Ideen nur selten nach ihrem Gehalt, viel öfter nach ihrer Herkunft (ab)qualifiziert, die Medien nehmen an der Verbesserung der Welt nur mehr selten teil und ziehen sich auf die Position eines distanzierten Sarkasmus zurück. 

Auch das Ritual der Regierungsverhandlungen mit ihren hastigen Festlegungen für die nächsten fünf (!) Jahre mutet geradezu post-demokratisch an. Vieles greift ohne gesicherte Fakten und sorgfältige Analyse zu kurz – und wo es zu komplex wird, verzichtet man gleich ganz auf grundlegende Reformen.

Wenn Instant-Lösungen und technokratische Kurzschlüsse nicht mehr überzeugen können, müssen wir die Vorratslager an tragfähigen Ideen neu auffüllen. Durch intensiven Austausch mit allen Bevölkerungsgruppen, Experten und Medien, durch Offenheit für neue Ansätze, Wertschätzung gegenüber Nachdenklichkeit und Mut zum noch Unausgegorenen.

Gleichzeitig braucht es mehr Professionalität und Qualität im parlamentarischen Vorfeld. Dazu ein konkreter, von der Bibliotheksarbeit inspirierter Ansatz: Was früher der Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen leistete, sollte heute ein direkt im Parlament einzurichtendes, allparteiliches Expertengremium unternehmen. Wieviel fruchtlose Rat-Losigkeit ließe sich in Hinkunft vermeiden, könnte man auf die unstrittigen Analysen und aussagekräftigen Szenarien einer solchen in anderen Parlamenten bewährten Ideenplattform zurückgreifen. Mehr Geld haben sich die Parlamentsklubs ja gerade genehmigt – sie müssten es nur richtig verwenden.

November 2008

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