Klartext 34

EU vor Quadratur des Kreises  

 

Das geopolitische Kräftemessen in unserer multipolaren Welt setzt unser Europa unter einen seit der Ostöffnung nie gekannten Einigungsdruck. Um als politische Gestaltungsmacht wahrgenommen zu werden, bedarf die EU eines ambitionierten Reformschubs in Richtung größerer Handlungsfähigkeit, ohne ihren föderalen Charakter aufzugeben. Gelingen kann diese Quadratur des Kreises jedoch nur, wenn unkonventionelle Lösungswege eingeschlagen werden.  

Ein erster Schritt in diese Richtung ist der Abbau bisher wenig beachteter innereuropäischer Handelshemmnisse. Eine aktuelle Studie des Internationalen Währungsfonds zeigt auf, worum es dabei geht: unbeachtlich der Zollfreiheit im Binnenmarkt sind derzeit die durch bürokratische Hemmnisse verursachten Kosten für den Warenhandel im EU-Binnenmarkt mit 44 Prozent dreimal höher als jene für den Handel zwischen US-Bundesstaaten. Im Dienstleistungssektor liegt der „implizite Zollsatz“ in der EU sogar bei mehr als 100 Prozent. Der Binnenmarkt muss daher durch einheitliche Standards, schnelle Verfahren und klare Zuständigkeiten entfesselt werden. Die damit ermöglichte Belebung des Handels zwischen den 27 EU-Mitgliedsstaaten würde den zollbedingten Einbruch des Handels mit den USA mehr als ausgleichen. 

Eine zweite Initiative betrifft die Schaffung einer einheitlichen Rechtsordnung für Unternehmen in der EU. Sie nennt sich „Regime 28“ und zielt auf ein gesamteuropäisch anwendbares Firmenrecht jenseits der 27 länderspezifischen Systeme. Mit dieser kreativen Umgehungsstrategie würde endlich freie Bahn für gesamteuropäisches unternehmerisches Handeln geschaffen. Der Weg zur Umsetzung auch dieses juridischen Drahtseilaktes wird alles andere als einfach sein. Möge die Übung gelingen!

16. Oktober 2025

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