Baustelle Signa

Der Benko-Skandal: Eine Zwischenbilanz

 

Beitrag für FURCHE 2/2024

Dass nicht nur ehemalige Spitzenpolitiker, sondern auch erfahrene Ex-Banker und renommierte Investoren René Benko bis zuletzt geradezu blind vertrauten, gehört zu den Mysterien der Signa-Pleite. Eine Analyse.

„Single point of truth“: dieser schöne Begriff bezeichnet in der Computersprache einen Grundbestand an Daten, auf den Verlass ist. Bei Unternehmen kommt diese Funktion geprüften Jahresabschlüssen zu, in Unternehmensverbünden einer konsolidierten Konzernbilanz. Nicht so in der Welt des Rene Benko. Dort bilanzierte die übergeordnete Holding des Milliardenkonzerns in missbräuchlicher Interpretation der dafür vorgesehenen Erleichterungen nach den vereinfachten Regeln kleinerer Unternehmen. Dies ersparte ihm die ansonsten zwingend erforderliche, von Wirtschaftsprüfern bestätigte Gesamtdarstellung seiner Gruppe.

Gerade das Fehlen einer bilanziellen Gesamtsicht und mangelnde Transparenz der Eigentümerstruktur erschwert nun allerdings den Versuch einer autonomen Sanierung in Eigenverwaltung. Sollte sich dieser Weg als nicht gangbar erweisen und Zwangsverwaltung verhängt werden, wären Notverkäufe von Immobilien zu Tiefstpreisen unvermeidbar.

Der grenzgängerische Gebrauch von allerlei steuerlichen und gesellschaftsrechtlichen „Gestaltungs“-Möglichkeiten scheint im Benko-Reich üblich gewesen zu sein. Ob das in Einzelfällen bloß sträflich oder gar schon strafbar war, werden nun wohl Gerichte zu klären haben.  

Zuletzt poppte hoch, dass für das 2016 im Wege einer seiner Stiftungen erworbene Schlosshotel Igls nach dessen Abriss und Umbau zur Privatvilla sämtliche Vorsteuer-Abzugsmöglichkeiten genutzt wurden, als handle es sich weiterhin um ein gewerbliches Unternehmen. Erst im Zuge der aktuellen Turbulenzen, und nachdem über Jahre hindurch keine Rechnungsabschlüsse gelegt worden waren, fiel der Finanzverwaltung diese faktische Umgehungshandlung auf. Es folgte eine grundbücherliche Eintragung im zweiten Rang, um die Umsatzsteuer-Ansprüche der Republik abzusichern.

Die Verlockung, aus dieser Causa trotz zügiger Sicherstellung parteipolitisches Kleingeld zu schlagen, scheint groß zu sein. Dennoch lässt sich die Geschichte vom spektakulären Aufstieg und Fall des Rene Benko nicht darauf reduzieren. Denn seit seinem Anfangserfolg mit dem Kaufhaus Tyrol schenkten renommierte Investoren und Gläubiger dem Jungunternehmer zwei Jahrzehnte lang ihr Vertrauen, von Unternehmensberater Roland Berger und dem Hamburger Reeder und Lufthansa-Miteigner Klaus Kühne bis zu deutschen Versicherungsgesellschaften, die nun um 850 Millionen Euro an nachrangigen Genussrechten bangen. Zu einem seiner engsten Begleiter wurde Paradeunternehmer Hans Peter Haselsteiner.

Das „Goldene Quartier“ in Wien diente als eindrucksvoller Beweis dafür, dass sich die Signa-Gruppe auf urbane Großvorhaben versteht. Auch wenn spätere Prestigeprojekte wie das „Chrysler Building“ oder das Hotel Bauer in Venedig geeignet gewesen wären, Misstrauen in großmannssüchtiges Gebaren hervorzurufen, riss die Erfolgswelle nicht ab.

Der darauffolgende Kaufrausch renommierter Adressen des großstädtischen Einzelhandels – darunter Galeria/Karstadt/ Kaufhof und Selfridges in London – erwies sich aus heutiger Sicht als gravierende strategische Fehlentscheidung. Zum einen lag der Handel außerhalb von Benkos Kernkompetenz, zum anderen ging das Kalkül, durch hohe Mieten der im Signa-Eigentum stehenden Kaufhäuser deren Bewertung nach oben zu schrauben nur vorübergehend auf. Der Einbruch des Handels während der Pandemie und die Umstellung der Kaufgewohnheiten auf digitale Bestellformen haben dieser Tage bereits zum dritten Mal eine Insolvenz der deutschen Handelsgruppe ausgelöst. Zuletzt scheiterte auch die vorübergehend an der New Yorker Börse gelistete Online-Handelsfirma Signa Sports.

Dennoch schienen Rene Benko immer mehr spektakuläre Immo-Großprojekte an exponierten Standorten zu gelingen – allerdings nicht selten auf verschlungenen Wegen. So wurde etwa beim mittlerweile in halber Höhe ins Stocken geratenen „Elb-Tower“ eine örtliche Bank als künftiger Hauptmieter gewonnen, indem man ihr den alten Firmensitz zu einem überhöhten Preis abkaufte – mit Hilfe eines Kredites eben dieser Bank. Mit diesem Zaubertrick konnte der Stadt Hamburg die für den Baubeginn erforderliche Mindestvermietung von 40 Prozent der Büroflächen nachgewiesen werden.

Der ab Ende 2022 vom Zinsschock ausgelöste Einbruch der Marktpreise brachte zahlreiche börsennotierte Immo-Konzerne weltweit in Schwierigkeiten. Bei keinem davon scheint die Situation jedoch so unübersichtlich zu sein wie im Zahlengestrüpp der Signa-Gruppe mit ihrer „gelebten Intransparenz“, wie es Wolfgang Peschorn, Präsident der Finanzprokuratur, formulierte.

Der aus einer Mischung von erfahrenen Ex-Bankern und das politische Spektrum allparteilich abdeckenden Persönlichkeiten zusammengesetzte Beirat diente als Aushängeschild. Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer war als langjähriger Aufsichtsratsvorsitzender der STRABAG Bindeglied zu Haselsteiner. Bei seiner Mitwirkung in diversen Benko-Gremien, die mit atypisch hohen Bezügen honoriert wurde, wog Netzwerken offensichtlich schwerer als aufsichtsrechtliche Kompetenz. Mit Sebastian Kurz kam später noch ein weiterer Ex-Kanzler ins Spiel, der gegen Provision Investoren zu gewinnen suchte.   

Dass all die renommierten Geldgeber, Aufsichts- und Beiräte bis zuletzt im längst unüberschaubar gewordenen Spiel blieben und willfährigen Beratern auch dann noch geradezu blind vertrauten, als sich längst Gewitterwolken zusammenbrauten, gehört zu den rätselhaften Besonderheiten dieser größten Insolvenz seit 1945. Sie wird in den Geschichtsbüchern wohl einst in einem Atemzug mit dem vor gut 100 Jahren spektakulär gescheiterten Banker Camillo Castiglioni genannt werden.

Darf man hoffen, dass Lehren aus dieser Geschichte gezogen werden? Justizministerin Alma Zadic hat bereits reagiert und will dafür sorgen, dass die verzögerte Vorlage von Geschäftsabschlüssen nicht mehr als Kavaliersdelikt durchgeht. Weitere Reformen sollten darauf zielen, die Bilanzierungsregeln in Richtung Vorsichtsprinzip anstelle flüchtiger Marktbewertungen zu verstrengern. Auch muss sichergestellt werden, dass Firmenkonglomerate – unabhängig von einer Börsennotierung – ausnahmslos konsolidierte Bilanzen legen und eine transparente Eigentümerstruktur aufweisen. Schließlich ist die Mitverantwortung von Aufsichtsräten für sorgfältige Gebarung deutlich zu verstärken. Denn spätestens dann, wenn es um Steuergeld geht, gefährdet ihr Versagen auch öffentliche Interessen.

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