Aufsichtsrat aktuell

Der hauptberufliche Aufsichtsrat

 

Buchbeitrag in: Susanne Kalss / Peter Kunz (Hrsg.), Handbuch für den Aufsichtsrat, 2. erweiterte Auflage, Wien 2016

In den vergangenen Jahren sind die Erwartungen an die Qualität der Arbeit von Aufsichtsräten deutlich gewachsen. Im Zuge einer stärkeren Kapitalmarkt-Orientierung und steigender Forderungen aller Anspruchsgruppen an das Management haben sich Vorstellungen von sachgerechter Gremienarbeit herausgebildet, die mit dem früheren (Zerr-)Bild einer oft unverbindlichen Ehrenfunktion nur mehr wenig zu tun haben. Auch eine seit der Finanzkrise kritischere Medien-Öffentlichkeit und steigende Haftungsrisiken tragen dazu bei, dass sich das Rollenbild von Aufsichtsräten auch in mittleren und kleineren Kapitalgesellschaften zusehends an zeitgemäßen Formen von Corporate Governance orientiert. Vor dem Hintergrund dieser unaufhaltsamen Tendenz zur Professionalisierung entscheidet sich eine zunehmende Anzahl von Personen dafür, die Ausübung von Funktionen in Aufsichtsräten und Beiratsgremien zum Schwerpunkt ihrer (frei-)beruflichen Tätigkeit zu machen.

Corporate Governance: eine neue Unternehmenskultur

Es wäre glatte Geschichtsfälschung, würde man alle traditionellen Formen der Aufgabenerfüllung von Aufsichtsräten ex post für ungenügend erklären. Immerhin fanden die Gremien von Kapitalgesellschaften über Jahrzehnte mit dem Aktiengesetz als einem soliden Referenzrahmen für korrektes und professionelles Handeln das Auslangen. Die überwiegende Zahl der erfolgreichen Unternehmen war durch sachgerechte Formen der „Gewaltenteilung“ zwischen Geschäftsleitung, Aufsichtsgremium und Hauptversammlung geprägt. Eine unzulässige Vermengung der Interessensphären blieb die Ausnahme.

Mit zunehmender Ausrichtung an der anglo-amerikanischen Kapitalmarktorientierung verfestigte sich allerdings seit Ende der Neunzigerjahre die Vorstellung, es sei mit den Bestimmungen des Aktienrechtes nicht mehr das Auslangen zu finden. Die beeindruckend klare, den Zielkonflikt zwischen Shareholder- und Stakeholder-Interessen beschreibende Definition der Aufgaben des Vorstandes im Aktiengesetz schien als Handlungsmaßstab für den Aufsichtsrat nicht mehr zu genügen.

Unter Hinweis auf Fehlentwicklungen, wie sie sich in jeder lebendigen Wirklichkeit im Vergleich zu normierten Leitbildern zeigen, wurden die traditionellen Normen des Aktiengesetzes für ungenügend erklärt und mit Idealvorstellungen verglichen, die aus der Vorstellungswelt börsennotierter Publikumsgesellschaften stammten. Über das Aktienrecht hinausgehende, ergänzende Spielregeln sollten sicherstellen, dass das Richtige geschah. An zahlreichen Finanzmärkten zeitgleich entstehende Corporate-Governance-Codices bemühten sich um Präzisierung des Rollenbildes von Aufsichtsräten.

Begrenzung der Dauer der Angehörigkeit zu einem Gremium, Begrenzung des Lebensalters, bis zu dem man als aufsichtsratstauglich gelten durfte, Einführung einer verbindlichen „cooling off“-Periode zwischen Vorstandsfunktion und Einzug in das Aufsichtsgremiums eines Unternehmens: diese Beispiele stehen für ein ganzes Bündel an Regelungen, deren Einführung stillschweigend zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Einhaltung aufsichtsrechtlicher Tugenden führte.

Zunächst wurde die Corporate-Governance-Bewegtheit allgemein begrüßt. Sie galt als Wundermittel gegen den vermuteten Trott aufsichtsrechtlicher Routine in herkömmlichen Gremien, aber auch als willkommene Begründung für Aufräumarbeiten in den vertraulichen Hinterzimmern jener „Deutschland AG“, die zum Symbol einer aktionärsfeindlichen Seilschaft einander privilegierender Räte kritisiert geworden war.

„Comply or explain“: Der Imperativ kapitalmarktorientierter Unternehmensführung

Die Überzeichnung von in der überkommenen Aufsichtspraxis durchaus feststellbaren Missständen war jedoch begleitet von einer Überzeichnung der Vorteile des neuen Ansatzes. Die an eine immer weitergehende, immer detailreichere Regulierung und Normierung unternehmerischer Realverfassungen geknüpften Erwartungen wuchsen nahezu ins Unerfüllbare. Als übergeordnete Begründung diente die vermeintliche Notwendigkeit, sich der als vorbildhaft dargestellten angloamerikanischen Kapitalmarktkultur möglichst weit anzunähern.

Das gebieterische „Comply or explain“ fand nicht nur auf die Erfüllung von Governance-Regeln Anwendung, sondern wurde unausgesprochen zu einem alle Bereiche der Unternehmenswelt durchziehenden Imperativ der Angleichung der Unternehmensverfassung an angloamerikanische Vorbilder. Die Überzeugung von der Tauglichkeit zeitpunktbezogener Marktwerte als Signale für finanzwirtschaftliche Dispositionen führte bald zu einem allgemein geteilten Glauben an die Überlegenheit des kapitalmarktorientierten Ansatzes. Die „efficient market hypothesis“ – verkürzt wiedergegeben im Mantra „Der Markt hat immer Recht“ – lieferte die dazu passende akademische Rechtfertigung.

Über viele Jahre sah sich die kontinentaleuropäische Unternehmenswelt mit ihrer traditionellen Unternehmensverfassung in der Defensive. Über den Atlantik – und den Ärmelkanal – drängte der Appell des „Comply or explain“ auf das Abrücken von vermeintlich überkommenen Finanzierungstraditionen. Gefordert wurde nicht weniger als eine grundlegende Änderung des Referenzrahmens, an dem gute Unternehmensführung zu messen ist. Schließlich führte die vermeintliche Überlegenheit einer am Kapitaleigner-Mehrwert orientierten Finanzmarktkultur zur Revision lange bewährter Finanzierungsgrundsätze. Viele der angeblich behäbigen Unternehmen Kontinentaleuropas mit ihren oft über lange Generationen hinweg familiengeprägten Eigentümerstrukturen blieben allerdings bis zuletzt skeptisch.

Selbst der im Gefolge der „New Economy“-Krise des Jahres 2000 aufgetretene Fall Enron führte nicht zu mehr Nachdenklichkeit auf dem Weg in die schöne neue Kapitalmarktwelt. Dabei hätte die dadurch ausgelöste Verstrengerung der Regeln für an US-Börsen notierende Unternehmen – einschließlich des im „Sarbanes-Oxley-Act“ verankerten Zwanges, das Management auf die von ihm verkündeten Bilanzergebnisse vereidigen zu lassen – wohl ausreichend Anlass zur kritischen Überprüfung der Überlegenheits-Hypothese geboten.

Der Aufeinanderprall der angloamerikanischen mit der kontinentaleuropäischen Finanzierungskultur führte insbesondere im finanzwirtschaftlichen Bereich zu einem „Clash of Cultures“, dessen Auswirkungen auf die Realwirtschaft und damit auch die Sphäre der Unternehmensaufsicht beträchtlich sind. Zu Anfang des vergangenen Jahrzehnts waren diese Entwicklungen schon im Ansatz erkennbar, durchschlagend wirksam wurden sie jedoch erst einige Jahre später, als 2008 die Schwächen eines durch falsch gesetzte Anreize entgleisten Systems im Gefolge der Lehman-Insolvenz in die größte Finanzkrise seit den Dreißigerjahren führten.

Bilanzierungsregeln und Basel II als Auslöser der Finanzmarktkrise

Besonders deutlich wird der Kontrast der unterschiedlichen – und in einigen Bereichen sogar unvereinbaren – Finanzierungskulturen des angloamerikanischen Raumes gegenüber Kontinentaleuropa an den Bilanzierungsregeln. Die sukzessive Ablöse einer Orientierung am Gläubigerschutz – und daher im Zweifel vorsichtigeren Bilanzansätzen – hin zu einer vermeintlich an den Interessen der Kapitaleigner orientierten Praxis der Marktwertorientierung, hat sich als höchst problematisch erwiesen. Das auf den ersten Blick schlüssige Shareholder-Value-Konzept, durch Ansatz von Marktwerten für möglichst alle Vermögenswerte (Assets) ein Höchstmaß von Transparenz für Aktionäre und Anleger herzustellen, wurde zum prozyklischen Treibsatz bilanzieller Expansion. In Phasen der Aufwärtsentwicklung der Marktwerte erwuchsen daraus meist kurzfristige Erfolge, die durch Kurssteigerungen und Anerkennung des Managements belohnt wurden. In der Krise lösten diese prozyklisch wirkenden Regeln eine fatale Abwärtsspirale in die umgekehrte Richtung aus.

Im Bankensystem und in der Immobilienwirtschaft bewirkte die Umstellung von früheren HGB (bzw. UGB-)Bilanzierungsregeln auf jene von IAS bzw. IFRS sowie US-GAAP eine noch viel ausgeprägtere Dynamik in diese Richtung. Jede Steigerung des Marktwertes finanzieller Assets auf der Aktivseite der Bankbilanz führte zu einer entsprechenden Erhöhung des Eigenkapitals. Dies ermöglichte – bei Aufrechterhaltung der regulatorisch gebotenen Relation zu den Fremdmitteln – eine Erhöhung der Verschuldungskapazität in Verbindung mit einer Erweiterung der Bilanzsumme und exzessiver Kredit-Geldschöpfung.

Ebenso prozyklisch wirkte das Regulativ von Basel II im Wege der Gewichtung des Eigenmittelerfordernisses für Kredite an Unternehmen nach Risikoklassen. Die Einschätzung der Ausfallwahrscheinlichkeit von Ausleihungen durch Rating-Agenturen wurde mit einem Mal zum Maßstab des bilanziellen Eigenmittelpolsters für künftig eintretende Risiken. Im Extremfall genügten in diesem neu geschaffenen System der risikogewichteten Eigenmittelunterlegung bei Verbriefungen und strukturierten Wertpapieren der höchsten Rating-Klasse 1,6 Prozent Eigenmitteleinsatz für eine Ausleihung von 100. Dieser Wert galt gemäß Basel-Spielregeln als ausreichend, obwohl er nur einem Fünftel der mit 8 Prozent ohnehin bescheidenen Mindestquote an „echtem“ Eigenkapital entsprach. In den Jahren vor Ausbruch der Finanzmarktkrise erhöhte sich solchermaßen der Fremdmittel-Hebel (Leverage) der globalen Großbanken auf zuvor nie gekannte Niveaus. Auf diese Weise erwies sich das Regelwerk von Basel II als eingebauter De-Stabilisator des Finanzsystems, obwohl es doch für dessen Stabilisierung geschaffen worden war.

Der ab Sommer 2007 vom US-Immobilienmarkt ausgehende Zusammenbruch der Märkte für durchwegs in zu hohe Ratingklassen eingestufte Verbriefungen (Asset Backed Securities), einer Produktklasse, die bis zum damaligen Zeitpunkt noch keinen ernsthaften Realitätstest zu bestehen hatte, löste eine massive Liquiditäts- und Solvabilitätskrise aus. An deren Höhepunkt führte die Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 zu einem rapiden Vertrauensverfall auf den Kapitalmärkten.

Ein Totalzusammenbruch der Finanzmärkte konnte nur durch sofortige, global koordinierte Liquiditätshilfen der Notenbanken in Kombination mit einer gleichfalls international abgestimmten Intervention der Regierungen verhindert werden. Einlagegarantien für Sparer, Staatsgarantien für Bankanleihen sowie Kapitalmaßnahmen für das Bankensystem mit Nachrangkapital und direkter staatlicher Kapitalzufuhr sicherten die Grundfunktionen der Banken ab.

Nicht verhindert werden konnte das vorübergehende Übergreifen der Vertrauenskrise auf Konsumenten und Investoren. Weite Teile der Realwirtschaft wurden durch Umsatzrückgänge massiv getroffen. Die negativen Auswirkungen auf die Beschäftigungsquoten konnten durch Arbeitsmarkt- und Konjunkturmaßnahmen nur zum Teil gedämpft werden. In der nachfolgenden europäischen Staatsschuldenkrise stießen die öffentlichen Haushalte an die Grenzen ihrer Verschuldungs- und Haftungskapazität. Die Besonderheiten einer als Geldunion nicht jedoch Fiskalunion konzipierten Eurozone erschweren bis heute eine nachhaltige konjunkturelle Erholung.

Von all diesen Entwicklungen wurden die Gremien der betroffenen Unternehmen ebenso überrascht wie die breitere Öffentlichkeit. Hätte vorausschauendes Handeln die Auswirkungen dieses externen ökonomischen Schocks auf betroffene Unternehmen verhindern können? Der Versuch einer Antwort auf diese Frage steht den seit damals in Schwung gekommenen Bemühungen um verbesserte Regelwerke für Aufsichtsgremien Pate.

Systemversagen oder Organversagen?

Die hier in sehr komprimierter Form geschilderte Krise der Finanzmärkte bzw. des einseitig kapitalmarktorientierten Wirtschaftens wurde durch eben jene am Shareholder-Value orientierte Finanzmarktarchitektur wesentlich mit verursacht, die sich nun aufgrund offenkundiger Systemmängel als höchst korrekturbedürftig erweist. Selbst bestgeführte Unternehmen mit perfekter, regelkonformer Governance konnten ihren Folgewirkungen nicht entgehen.

Es macht schon deshalb wenig Sinn, die Krise im Nachhinein durch die Suche nach Schuldigen erklären und korrigieren zu wollen. Denn abgesehen von jenen Fällen, in denen es zu rechtlich relevantem Fehlverhalten kam, hat die große Zahl der Vorstände und Aufsichtsräte innerhalb der vor der Krise geltenden Maßstäbe durchaus professionell und meist wohl auch gewissenhaft gehandelt. Für ebenso wenig erfolgversprechend halte ich den Ansatz, an die Moral zu appellieren und auf Abschaffung der Gier zu hoffen. Ein neues Sitten-Regulativ oder gar die Verankerung von Gier-Verboten in Corporate Governance Codices wäre wenig hilfreich. Denn dass Anstand, Geradlinigkeit und Abstraktion von Eigeninteressen zu den Grundeigenschaften von Mitgliedern aller Gremien von Unternehmen gehören sollten, war wohl auch schon vor der Krise evident.

Dass die Krise eingetreten ist, war nicht vorrangig die Folge von Einzelnen zuordenbaren Sündenfällen, sondern Konsequenz einer kollektiven, von den Wirtschafts-, Wissenschafts-, Medien- Anleger- und Politik-Eliten mitgetragenen Fehlentwicklung. Die eigentliche Moral der Geschichte liegt deshalb wohl in der Pflicht, aus der neu gewonnenen Klarheit über die krisenverursachenden Systemelemente die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Dieses Unterfangen kann uns nicht leicht von der Hand gehen. Das Eingeständnis, als Führungskraft oder Aufsichtsrat mit bestem Wissen und ohne Unrechtsbewusstsein letztlich eine kollektive Systementgleisung mit verursacht zu haben, ist nämlich kaum weniger schmerzhaft als der Weg einer Individualisierung der Schuld, mit dem man nur die Notwendigkeit grundsätzlicher Systemkorrekturen verdrängt. Gerade wenn es sich bei der Krise nicht um schuldhaftes Organ-Versagen, sondern um ein System-Versagen handelt, trifft Vorstände oder Aufsichtsräte umso mehr die Verpflichtung, konsequent um die Verbesserung der Rahmenbedingungen bemüht zu sein.

Es geht dabei um nicht weniger als einen Paradigmenwechsel in Bezug auf die Rahmenbedingungen unternehmerischen und damit auch aufsichtsrechtlichen Handelns. Von seinem Gelingen hängt es ab, ob die derzeit sich abzeichnende Tendenz zur Überregulierung und Ver(Straf-)Rechtlichung wieder rückgängig gemacht werden kann.

Reform der Incentive-Systeme für Führungskräfte

Ein besonders sensibles Anwendungsfeld solcher Systemkorrekturen liegt im Bereich der Remunerations- und Incentive-Systeme für Führungskräfte. Sie haben gerade im Bankbereich – vor allem im angloamerikanischen Raum – zu sonderbaren Auswüchsen geführt, die toleriert wurden, solange die Erwartungen der Shareholder erfüllbar waren. Nach der Notwendigkeit, das Banksystem durch Staatsgarantien und Steuermittel aufzufangen, ist die Bereitschaft, überzogene Incentive-Systeme zu akzeptieren, in den Medien und in der von den Krisenfolgen betroffenen Bevölkerung weitgehend verschwunden.

Die meisten Incentive-Programme für Führungskräfte waren auch in der Realwirtschaft auf zeitpunktbezogene Maßstäbe wie die jeweilige Börsenkapitalisierung abgestellt. Mittlerweile scheint sich die Meinung durchzusetzen, man müsse nun wieder auf nachhaltigere, echte Wertschöpfung messende Indikatoren setzen und allzu kurzfristige, an Markt- und Kurswerten orientierte stock-option-Programme entsprechend adaptieren. In der Finanzwirtschaft dominiert allerdings bis heute der Return on Equity (ROE) als Maßstab befriedigender Management-Performance – mit der fatalen Anreizwirkung, ausladende Bilanzen mit möglichst geringem Eigenkapital zu steuern.

Es irritiert bisweilen, dass die selben hochspezialisierten Berater, aus deren Feder die – so ist zu hoffen – auch zuvor nicht leichtfertig und ohne Bedachtnahme auf Nachhaltigkeit geschaffenen Incentive-Programme stammten, nun wieder zu den Avantgardisten der neuen Mode gehören. Und es sind oft die gleichen Aufsichtsräte, die sich nun mit der Revision der einst unter dem Beifall der Analysten von ihnen selbst eingeführten Programme zu befassen haben.

Statt maßloses Verhalten auf Kosten Dritter durch überzogene Renditeerwartungen in Kombination mit wirklichkeitsfremden Bilanzierungsregeln und Incentive-Programmen zu fördern, geht es im Bereich der Remuneration letztlich um Regeln, die auf Grundlage guter Ergebnisse faires und maßvolles Verhalten besser stellen als „moral hazard“. Der deutsche Gesetzgeber verpflichtet mittlerweile Aufsichtsräte ausdrücklich dazu, die Angemessenheit von Gehaltsstrukturen zu überprüfen und bei nachteiliger Geschäftsentwicklung eine solche Angemessenheitsprüfung sogar bis zu drei Jahre nach dem Ausscheiden von Führungskräften, vorzunehmen.

Ein verwandter Bereich der Korrektur kapitalmarktorientierter Spielregeln ist der Eigenhandel von Führungskräften mit Aktien des von ihnen geführten Unternehmens. Die Diskussion über eine EU-Richtlinie, mit der Vorstands-Trading wegen seiner Anfälligkeit für Insider-Vorfälle sogar verboten werden soll, ist allerdings wieder verebbt. Dennoch hat sich mittlerweile eine grundlegend skeptische Haltung gegenüber Vorstands-Trading durchgesetzt – ein doch beachtlicher Wandel angesichts der zuvor dominierenden Mainstream-Argumentation, das Engagement von Vorständen als Aktionäre im eigenen Unternehmen fördere am besten die Übereinstimmung der Management-Motivation mit den Zielen der Shareholder.

Umsichtig gegen systemische Risiken

Nicht nur im Finanzbereich erlagen die Akteure in den vergangenen Jahren oft der Illusion, die gewissenhafte Einhaltung von Prüfroutinen, wie sie etwa durch die Kontrollsysteme von Basel II auferlegt wurden, führte zu einer echten Beherrschbarkeit von Risiken im Rahmen anerkannter Methoden. Auch hier erwies sich die Theorie einer jederzeitigen Messbarkeit des zeitpunktgenauen Risiko-Exposures (Value at risk) als auf Sand gebaut, da die zugrundliegenden Parameter viel zu stark von Marktschwankungen abhingen. Die Vorstellung, alle – auch künftigen – Risiken genau zu kennen und jederzeit darauf reagieren zu können, lenkte von der Tatsache ab, dass sich im Hintergrund höchst gefährliche systemische Makro-Risiken – etwa die einer Asset-Inflation – aufbauen konnten.

Ein eindrucksvolles Beispiel für die Gefahr methodischer Scheinsicherheit sind die im Vorfeld der Finanzkrise stark wachsenden Verbriefungen. Sie waren meist mit besten Rating-Noten ausgestattet und hatten die Funktion, dem Eingehen zu großer Einzel-Engagements entgegenzusteuern und für Risikostreuung zu sorgen. Letztlich aber trugen die meisten dieser synthetischen Wertpapiere zur Entstehungen systemischer Klumpenrisiken bei. Denn nach der Lehman-Insolvenz wurden für die einzelnen Risikotranchen wegen des rapiden Vertrauensverfalls keine Preise mehr gestellt, zugleich war für die meist außer-bilanziell geführten Investitions-Gesellschaften keinerlei Liquidität mehr verfügbar.

Auch bei den Bewertungsansätzen für Firmenbeteiligungen tun sich oft verführerisch breite methodische Spielräume auf, die in einer mit Blick auf technologische Durchbrüche etwa im Bereich der Digitalisierung euphorischen Marktumgebung höchst volatile Ergebnisse zeitigen können. Woran orientieren sich Management und Aufsicht, abhängig von der aktuellen Marktpositionierung eines Unternehmens, wenn es darum geht, sich hier für den „richtigen“ Ansatz zu entscheiden? Immerhin kann der Ausgang solcher Überlegungen im Vorfeld etwa eines Börsengangs für die Herausbildung des Börsenwertes maßgeblich sein. Auch wenn dazu in der Regel externe Expertisen und vergleichbare Branchenwerte abgerufen werden – die letztliche, sorgfältig erwogene Entscheidung obliegt den Gremien.

So wenig die Erfüllung von Regeln eigenverantwortliches Handeln ersetzen kann, so wenig ersetzt ständige Arbeit an der Optimierung von Unternehmensergebnissen den Blick auf das Ganze. Wenn Aufsichtsräte ihren Unternehmen wirklich nachhaltig dienen sollen, müssen sie Einsicht und Übersicht haben. Ein für eine solche Haltung schon etwas aus der Mode gekommenes Eigenschaftswort heißt: „umsichtig“.

Professionalisierung der Unternehmensaufsicht – überspannte Erwartungen?

Nicht selten ist in Verbindung mit erhöhten Anforderungen an die Unternehmenskontrolle davon die Rede, die Krise wäre uns erspart geblieben, hätten nur alle Aufsichtsorgane schon so gehandelt, wie es in Hinkunft von ihnen gefordert wird. In Analogie zur Antwort auf die Schuldfrage ist konsequenterweise auch hier von übertriebenen Zuschreibungen an das, was Aufsichtsräte vermögen, zu warnen.

Die Finanzmarktkrise hat weite Teile der Unternehmerwirtschaft unvermittelt und gleichzeitig betroffen. Unter den letal geschädigten Unternehmen waren auch viele, deren Verantwortungsträger sich keine Versäumnisse vorzuwerfen hatten. Auch war es nicht selten eine Frage des Zufalls, ob ein Unternehmen von der Krise unmittelbar nach einer Großinvestition oder einem Unternehmenskauf gerade im Zustand relativer hoher Verschuldung getroffen wurde. Diese konnte nach den Maßstäben der Zeit vor Ausbruch der Krise durchaus maßvoll gewesen sein – und erwies sich dennoch als zu hoch, um den unerwarteten, abrupten Auftrags- und Einnahmenausfall mit nachfolgender Liquiditätskrise abzufangen.

Aufsichtsräte sollten deshalb nicht mit Erwartungen überfrachtet werden, die sinngemäß lauten: „solange ihr es nur richtig macht, wird das Unternehmen nicht gefährdet sein“. Eine solchermaßen überspannte Erwartungshaltung blendet aus, dass auch sehr gut geführte und kontrollierte Unternehmen von krisenhaften Situationen auf Grund von Technologiebrüchen, Marktveränderungen oder eben Finanzkrisen betroffen sein können, die nicht vorhersehbar waren.

Dennoch genügt es im aktuellen Umfeld erhöhter Aufmerksamkeit für die Qualität von Aufsichtsratsarbeit nicht, den grundlegenden aufsichtsrechtlichen Sorgfaltspflichten nachzukommen und deren regelmäßige Erfüllung durch ausreichende Dokumentation nachzuweisen. Neben der aufmerksamen, kritischen Begleitung des Management-Handelns bedarf es darüber hinaus auch eines wachen Blicks für mögliche unkalkulierbare Risiken.

Gerade deshalb ist die Forderung nach weiterer Professionalisierung und Qualitätssteigerung in den Aufsichtsräten sinnvoll. Der Druck in diese Richtung steigt nicht nur durch die noch auf längere Zeit schwierigere gesamtwirtschaftliche Situation, sondern hat eine Reihe von weiteren guten Gründen. Es gehört zu den Vorteilen des seit einigen Jahren gestiegenen Bewusstseins für „Corporate Governance“, dass die Notwendigkeit einer gelebten Gewaltenteilung zwischen den Gremien der operativen Führung, des Aufsichtsrates und der Eigentümer zunehmend auch in Unternehmen mittlerer Größe und familienunternehmerischen Zuschnitts erkannt wird.

Auch tragen die jüngsten Neuerungen des Aktienrechtes und die Neufassungen des Corporate Governance Code der Notwendigkeit Rechnung, die Arbeit des Aufsichtsrates inhaltlich und zeitlich anzureichern. Insbesondere die hervorgehobene Rolle des Prüfungsausschusses, dem mindestens ein ausgewiesener Finanzexperte anzugehören hat, stellt einen substantiellen Fortschritt dar.

Die zunehmende Bedeutung hauptberuflicher Aufsichtsräte

Mit der Professionalisierung der Funktion von Aufsichtsräten sowie den in den Corporate Governance Codices verankerten Beschränkungen hinsichtlich der Höchstzahl von Aufsichtsratsmandaten geht eine Tendenz zum stärkeren Einsatz hauptberuflicher Aufsichtsräte einher. Schon heute nehmen jene Aufsichtsräte, die die meisten Funktionen bekleiden, ihr Aufgaben-Portfolio in unterschiedlichen Unternehmen hauptberuflich wahr. Auch werden hauptberufliche Vorstände mit einem nebenberuflichen Aufsichtsratmandat in großen börsennotierten Gesellschaften immer seltener. Dies gilt vor allem für die Funktion des Aufsichtsratsvorsitzes. Unter denjenigen Aufsichtsräten, die die meisten Mandate börsennotierter Unternehmen auf sich vereinigen, befindet sich kein einziger hauptberuflicher Vorstand.

Es handelt sich bei hauptberuflichen Aufsichtsräten also meist um Personen, die zunächst neben einer Vorstandstätigkeit das eine oder andere Aufsichtsratsmandat in anderen Unternehmen wahrgenommen haben. Erst nach Ausscheiden aus ihrer operativen Funktion stehen sie dann für die Übernahme mehrerer, gleichzeitiger Kontrollaufgaben in verschiedenen Unternehmen zur Verfügung und übernehmen damit nach Beendigung ihrer Management-Aufgabe die Rolle eines hauptberuflichen Aufsichtsrates.

Im Idealfall sind sie in der Lage, den ihnen anvertrauten Aufgaben in Aufsichts- oder Beiräten in der gebotenen Qualität und mit entsprechendem zeitlichen Einsatz nachzukommen, wie es dem Gesetzgeber und den Schöpfern des Corporate Governance Codes vorschwebt. Allerdings unterscheiden die bestehenden Regeln der Mandatsbegrenzung nicht zwischen hauptberuflichen Aufsichtsräten und solchen, die ihre Mandate neben der Ausübung eines anderen Hauptberufes wahrnehmen.

Bei ausschließlicher Fokussierung der beruflichen Tätigkeit auf Aufsichtsratsfunktionen kann durchaus eine größere Anzahl von Mandaten professionell erfüllt werden. Wichtig ist dabei, Zahl und Intensität der Aufgaben insgesamt so zu bemessen, dass über die in Normalzeiten erforderliche Zahl von Sitzungen hinaus auch noch Zeit für Sondersituationen verfügbar ist. Diese erfordern mitunter zeitnahes Agieren von Aufsichtsräten im Rahmen von Sondersitzungen und Telefonkonferenzen, für die bei der Bemessung der Höchstzahl wahrgenommener Mandate Pufferzeiten einzuplanen sind.

Remuneration von Aufsichtsratsfunktionen

Die Remuneration von Aufsichtsratsfunktionen stellt in der Regel auf die bisher übliche Intensität der Wahrnehmung solcher Funktionen ab. Dies entspricht etwa 4-5 Sitzungen pro Jahr, was kaum über dem gesetzlich vorgeschriebenen Minimum von vier Sitzungen liegt, die sich auf die vier Quartale verteilen. Der europäische Durchschnitt liegt mit 6,7 Sitzungen allerdings deutlich darüber.

Die Tendenz zur Angleichung an diese doch um einiges höhere Intensität erhöht in Verbindung mit dem deutlich zunehmenden Haftungs- und Reputationsrisiko den Druck auf eine Anhebung der bisher in vielen Fällen im internationalen Vergleich eher bescheidenen Honorare für die Erfüllung solcher Aufgaben. Auch die zunehmende Anzahl von Personen, die ein ganzes Portfolio derartiger Funktionen hauptberuflich wahrnehmen, spricht für eine Anhebung. Andererseits sollten Aufsichtsratshonorare nicht Größenordnungen erreichen, die die Unabhängigkeit der Aufsichtsräte dadurch gefährden, dass diese zu opportunistischen Entscheidungen tendieren, um ihr Mandat nicht zu gefährden.

Die Vorstellungen von der Angemessenheit des Aufsichtsratsentgeltes sind höchst unterschiedlich ausgeprägt. Die Spannbreite reicht von der immer noch auftretenden Praxis, ediglich Sitzungsgelder zu zahlen, bis zu deutlich höheren, der umfänglicheren Aufgabe und der Größe der Gesellschaft entsprechenden Aufsichtsratsentgelten in börsennotierten Unternehmen. Als grobe Richtgröße kann derzeit in Österreich bei kleineren und mittleren Gesellschaften eine Spannbreite des jährlichen Aufsichtsratsentgeltes von 5.000.- bis 15.000.- Euro angesehen werden, bei größeren Unternehmen ab einem Umsatz von ca. 100 Mio Euro bis zu Großunternehmen hingegen eine Spannbreite von 15.000.- bis 40.000.- Euro. Für Aufsichtsratsmitglieder mit spezifischen, für das Unternehmen besonders wichtigen Kompetenzen, kann es erforderlich sein, höhere Entgelte festzusetzen. Gleiches gilt für die Mitglieder in Aufsichtsräten börsennotierter Großunternehmen.

Innerhalb dieser Bandbreiten wird je nach dem Grad der Mitwirkung in Ausschüssen, für die in der Regel höhere Entgelte vorgesehen sind, differenziert. Das Entgelt für Vorsitzende des Aufsichtsrates liegt in der Regel um die Hälfte oder bis zum Doppelten höher als das eines einfachen Aufsichtsratsmitglieds. Eine direkte Bindung des von der Hauptversammlung festzulegenden Aufsichtsratsentgelts an den Unternehmenserfolg wird nur in wenigen Ausnahmefällen praktiziert.

Die zunehmende Tendenz, Aufsichtsräte intensiver in strategische Vorgänge einzubeziehen, fördert eine Entwicklung in Richtung stärkerer zeitlicher Einbindung. Meist liegt dem das Vorbild einer einstufigen Aufsichtsstruktur im Sinne des One-Board-Systems zu Grunde, in der die operativ Verantwortlichen formal einem gemeinsamen Gremium mit den sie aufsichtsrechtlich Begleitenden („Non-Executive-Board“) angehören. Bei diesem Verständnis von Gremienarbeit, wie es im angloamerikanischen Raum aber etwa auch in der Schweiz vorherrscht, ist von deutlich erhöhten zeitlichen Erfordernissen auszugehen, die zu entsprechend angepassten Größenordnungen des jährlichen Entgelts führen.

Sonderfälle stellen jene Personen dar, die auf Zeit intensivere Beratungsaufgaben oder sogar operative Überbrückungs- und Begleitaufgaben wahrnehmen. Auch sie werden oft als „hauptberufliche“ Aufsichtsräte bezeichnet – allerdings mit dem Verständnis, dass sie auf Grundlage individueller Honorarvereinbarungen spezielle Aufgaben auf Zeit erfüllen. Derartige Sondervereinbarungen bedürfen der Berichterstattung an die bzw. der Zustimmung durch die Hauptversammlung.

Vor dem Hintergrund einer grundsätzlichen Inkompatibilität jeglicher Beratertätigkeit mit der Wahrnehmung von Aufsichtsratsfunktionen hat es sich als sinnvoll erwiesen, Engagements dieser Art auf bestimmte Projekte zu begrenzen und nach einem überschaubaren Zeitraum entweder zu beenden oder in ein anderes Organverhältnis überzuführen. Häufig stellen sich dafür in Frage kommende Aufgaben in Sanierungssituationen, vor allem in mittelständischen Unternehmen. Sie können bei Bewährung zu einer operativen Funktion des interimistisch als Projektverantwortlichen eingesetzten Aufsichtsrates im betreffenden Unternehmen führen. Bei börsennotierten Unternehmen sind solche Fälle allerdings eine seltene Ausnahme.

Zur Selbstorganisation der Arbeit hauptberuflicher Aufsichtsräte

Hauptberufliche Aufsichtsräte organisieren sich als „Portfolio“-Arbeiter so, dass sie ihre Aufgaben für mehrere, oft sehr unterschiedliche Unternehmen, professionell erledigen können. Die Vor- und Nachbereitung von Sitzungen, die fallweise zwischenzeitliche Kontaktnahme zu den Aufsichtsratsvorsitzenden und der Geschäftsführung, die Wahrnehmung von aktuellen Informationen von den jeweiligen Unternehmen und ihrem Wettbewerbsumfeld sowie den für sie relevanten rechtlichen und politischen Themen: das alles braucht nicht nur Zeit, sondern auch Offenheit und Neugier für neue Entwicklungen.

Für die konzentrierte Wahrnehmung dieser Aufgaben empfiehlt sich jedenfalls die Arbeitsbasis eines eigenen Büros, das auch räumlich klar von der Privatsphäre getrennt ist. In vielen Fällen bewährt sich die Anmietung von Räumlichkeiten in Kanzleigemeinschaften von Freiberuflern wie etwa Unternehmensberatern, Wirtschaftsprüfern oder Anwälten. Dies vor allem wegen der dann gegebenen Möglichkeit, die Büroinfrastruktur gemeinsam zu nützen – vom Empfangsraum über den Besprechungsraum bis zur Kaffeeküche. Ebenso bedeutsam ist die eventuelle Mitnutzung von EDV-Systemen, oft verbunden mit dem Vorteil der technischen Aushilfe im Fall von IT-Problemem – allerdings unter dem Vorbehalt einer strikten Beachtung der notwendigen Datensicherheit.

Die Frage einer Büroassistenz wird sehr unterschiedlich gehandhabt. Eine vollzeitige Assistenz wird nur in Ausnahmefällen leistbar sein, weshalb sich auch hier oft Gemeinschaftslösungen mit Teilzeit-Assistenz bewähren. Die wachsende informationstechnische Mobilität im Zuge der Digitalisierung hat die Abhängigkeit von assistentieller Unterstützung zuletzt deutlich reduziert.

Die Möglichkeiten der modernen Kommunikation ermöglichen ein hohes Maß an eigenverantwortlicher Organisation des Büros eines hauptberuflichen Aufsichtsrates. Da alle für die Sitzungen in den Gremien des Unternehmens notwendigen Unterlagen vom Unternehmen selbst erstellt und – meist nur mehr elektronisch – versendet werden, kann auch die Sicherung einer verlässlichen Informationsablage und –Evidenz mit Hilfe digitaler Speicherung gehandhabt werden. Der Großteil der Korrespondenz lässt sich ohnehin ortsunabhängig via Mail-Verkehr erledigen.

Die Terminverwaltung kann ebenfalls mit Unterstützung durch elektronische Kalendersysteme selbständig erfolgen. Erst bei einer höheren Zahl von Mandaten kann die Delegation von Arbeiten im Bereich der Ablage und des Informationsmanagements ebenso sinnvoll sein wie die Inanspruchnahme von Assistenz bei der Organisation von Reisen.

Die anfallenden Fixkosten für Büro, Infrastruktur und Assistenz sollten in einem angemessenen Verhältnis zu den Einkünften aus Aufsichtsratsfunktionen stehen. Da eine Aliquotierung dieser Kosten auf die einzelnen Mandate und deren direkte Verrechnung mit den Unternehmen unüblich ist, bedarf es keiner Schlüsselung der Kosten auf einzelne Mandate. Entscheidend ist, dass die Kostenpositionen eine gewisse Modularität behalten und daher bei Wegfall eines oder mehrerer Mandate entsprechend angepasst werden können.

Aufsichtsratsprofile und Eigentümerstruktur

Aufgrund der Unterschiedlichkeit der Eigentümerstrukturen kann die Art und Weise, in der die jeweilige Unternehmensverfassung gelebt wird, nicht über einen Leisten geschlagen werden. Das Aktiengesetz ist aber bei aller Heterogenität der Ausgangslage die übergreifende, verbindliche Richtschnur des praktischen Handelns. Darüber hinausgehend stellt der Corporate Governance Code eine für börsennotierte Unternehmen verpflichtende, für andere Gesellschaften hingegen zunächst noch unverbindliche Leitlinie zur konkreten Ausrichtung der jeweiligen Gremien dar. Selbst innerhalb desselben Unternehmenstypus können Aufsichtsräte, die den gleichen Spielregeln folgen, zu höchst unterschiedlichen Entscheidungen kommen – meist als Folge gegensätzlicher Interessenslagen in der Eigentümersphäre. Solange die Auffassungsunterschiede auf eigentumsrechtliche Themen und Machtfragen begrenzt bleiben, besteht die Chance, dass das Unternehmen in seiner Produkt-Markt-Positionierung und seiner laufenden Entwicklung davon nicht nachteilig betroffen wird. Das Auseinanderfallen von Eigentümer- und Unternehmensinteressen kann jedoch auch zu ernsthafteren Konflikten führen, welche die operative Performance des Unternehmens beeinträchtigen und die weitere strategische Entwicklung des Unternehmens gefährden.

Andererseits ist es durchaus legitim, wenn sich das implizite Mandat von Aufsichtsräten auch an den Vorstellungen der jeweiligen Eigentümergruppen orientiert. Es muss darin kein Widerspruch zur Forderung nach der Unabhängigkeit des Aufsichtsrates liegen. Entscheidend ist, dass das Wohl des Unternehmens im Mittelpunkt seiner Beiträge zum Gelingen der jeweils spezifisch angemessenen Ausprägung von Corporate Governance steht.

Ein Querschnitt durch Unternehmensformen, in denen der Autor dieses Beitrages im Laufe seines Berufslebens bisher Aufsichts- oder Beiratsfunktionen wahrgenommen hat oder aktuell wahrnimmt, zeigt, wie unterschiedlich die Eigentümerkonstellationen sein können, innerhalb derer sich eine jeweils spezifische Governance-Struktur herausbildet (die Nennung konkreter Gesellschaften unterbleibt bei den privaten Unternehmen):

  • Rechtspersönlichkeiten sui generis mit öffentlichen Aufgaben (Finanzkuratorium der Akademie der Wissenschaften)

  • Unternehmen im öffentlichen Eigentum, die für die Erstellung eines öffentlichen Gutes verantwortlich sind und in keinem Wettbewerb zu anderen Unternehmen stehen (Rundfunk- und Telekom-Regulierungs GmbH, AWS-Förderbank, Olympia 2014 Bewerbungsgesellschaft)

  • Unternehmen im öffentlichen Eigentum, die privatwirtschaftlich gestioniert werden und in vollem Wettbewerb zu privaten Mitbewerbern stehen ( Wienstrom GmbH)

  • (Bank-)Konzern-Tochtergesellschaften

  • Börsennotierte Publikumsgesellschaften mit strategisch bestimmenden Aktionärsgruppen

  • Privatunternehmen im vollständigen oder mehrheitlichen Familien-Eigentum

  • Privatunternehmen im Eigentum von (Familien-)Stiftungen

  • Unternehmen im Eigentum von Finanzinvestoren (Private Equity Gesellschaften, Family Offices)

  • und weitere Mischformen der angeführten Kategorien

Erfahrungen, die hauptberufliche Aufsichtsräte in Unternehmen mit unterschiedlicher Eigentümerkonstellation sammeln, können einen wertvollen Fundus für ihre Tätigkeit darstellen. Aufsichtsrats-Know-How aus verschiedenen Gesellschaften lässt sich so gerade in jenen Themenfeldern wirksamer umsetzen, die zu den „Querschnittsmaterien“ solcher Gremien gehören: Offene, lösungsorientierte Diskussionskultur, personalpolitische Fragen, Konfliktzonen zwischen Unternehmensführung und Arbeitnehmervertretung, vor allem aber entsprechende Konsequenz in der Bearbeitung des unternehmerischen Zyklus von strategischer Orientierung, Planung, operativer Performance und Ergebniskontrolle.

Aufsichtsräte: die mächtigen Machtlosen

Das Repertoire der Einflussnahme des Aufsichtsrates auf die Gestion eines Unternehmens ist in der Praxis geringer, als es der Erwartungshaltung der Öffentlichkeit entspricht. Da die Abberufung des Vorstandes durch den Aufsichtsrat nur eine ultima ratio in Sondersituationen darstellen kann, ist das Spektrum der aufsichtsrechtlichen Interventionen sehr eingeschränkt, zumal die voreilige Handhabung dieses Instruments den Aufsichtsrat in beachtliche Schwierigkeiten bringen kann. Darin liegt die reale Machtlosigkeit des Aufsichtsrates.

Letztlich bilden der Vorstand bzw. die Geschäftsführung von Kapitalgesellschaften und deren Aufsichtsrat eine Schicksalsgemeinschaft. Im Spannungsfeld von Nähe und Distanz, Empathie und Objektivität, übergriffiger Einmischung und leichtgläubigem Laissez-Faire wirken sie im Idealfall in offener, vertrauensvoller und zugleich kritischer, das jeweilige Rollenverständnis respektierender Zusammenarbeit professionell zusammen. Nur so entsteht aus dem Zusammenwirken der Gremien eine gesteigerte Wertschöpfung zum Wohle des Unternehmens. Da es dem Aufsichtsrat – und hier insbesondere dem Vorsitzenden – obliegt, die Zusammenarbeit der Gremien mit Leben zu erfüllen, liegt die Macht zur gelungen Gestaltung bei ihm: in diesem Sinn ist er ein durchaus mächtiger Machtloser.

Die erforderliche Qualität kann jedoch nicht entstehen ohne ein Mindestniveau der Intensität und Dauer der Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsrat und Vorstand bzw. Geschäftsführung. Schon die grundlegendsten, gesetzlich vorgegebenen Aufgaben können nur mit Mühe in vier Sitzungen untergebracht werden – vor allem dann, wenn diese zu straff geführt werden und mangels Diskussionsmöglichkeiten zu kurz geraten. Zu empfehlen ist, dass in den im Normalfall auf mindestens einen halben Tag anberaumten Sitzungen Spielraum für intensive inhaltliche Auseinandersetzung freigehalten wird.

Die Befassung von Ausschüssen kann für die Schaffung dieser Freiräume nützlich sein. In spezieller Weise gilt dies für den obligatorischen Prüfungsausschuss, der die Gelegenheit gibt, neben einer Auseinandersetzung mit Methoden und Ergebnissen der Wirtschaftsprüfung regelmäßig das Interne Kontroll System (IKS), das Risikomangement-System und den Bereich der Revision durch intensive Information und Erkundung zu überwachen.

Mindestens ebenso viel Raum gebührt der Planung und Vorschau. Sie kann nur nachvollzogen und verstanden werden, wenn die Aufsichtsräte – gerade auch bei heterogener Zusammensetzung – ein Verständnis für das Stärke-/Schwächen-Profil, die Marktposition, das strategische Chancen-/Risikoprofil und das Produkt-/Markt-Portfolio entwickeln. Darauf aufbauend werden sie die Mengen- und Preisgerüste von Vorschaurechnungen, Planbudgets und Planbilanzen erst wirklich nachvollziehen und einer plausibilisierenden Diskussion unterziehen können.

Über all diese operativ-strategischen Erfordernisse hinaus liegt eine der zentralen Aufgaben von Aufsichtsräten, aufgrund ausreichender Vertrautheit mit den Gegebenheiten im Unternehmen in Zeiten des Übergangs und der Krise – etwa in Fragen der Besetzungspolitik – verfügbar und handlungsfähig zu sein. Auch diese Anforderung ist nur bei ausreichender Intensität und Qualität der Gremienarbeit erfüllbar.

Bei der oder dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates liegt hier eine deutlich erhöhte Verantwortung. Als primärer Ansprechpartner des Vorstandes steuert der Vorsitzende den Informationsfluss mit der Geschäftsleitung und koordiniert die inhaltliche Vorbereitung der Sitzungen. Er beeinflusst maßgeblich, ob es erforderlich ist, in der jeweils aktuellen Situation vom in Normalzeiten üblichen Begleit-Modus der Aufsichtsratstätigkeit in eine Phase intensiverer Information, Kontrolle und Intervention überzugehen. Dies gilt sowohl für Krisenzeiten als auch für grundlegende, strategische Veränderungserfordernisse mit Auswirkungen auf das bisherige Geschäftsmodell des Unternehmens.

Aufsichtsräte prägen die Unternehmenskultur mit

Es ist auch in Normalzeiten unverzichtbar, gemeinsame Sichtweisen zur grundsätzlichen Ausrichtung des Unternehmens und über die Mittelfrist-Strategie hinausreichende Szenarien zu erarbeiten. Darüber hinaus ist es notwendig, gemeinsame Vorstellungen vom angemessenen Modus der Unternehmensentwicklung zu erringen. So gibt es etwa Situationen, in denen auf Grund technologischer Zwänge – etwa kurze time-to-market-Fenster für Innovationen – aggressives Wachstum geboten ist, umgekehrt aber auch solche, in denen Konsolidierung wichtiger ist als die Verlockung, um den Preis einer hohen Abhängigkeit von externer Finanzierung Wachstum zu erkaufen.

Auch liegt es am Aufsichtsrat, in Fragen der unternehmerischen Verantwortung, die über die Wahrnehmung des Tagesgeschäftes hinausgehen, den Ton anzustimmen. Dies betrifft den Umgang mit so schwierigen Themen wie Korruptionsbekämpfung, Steueroptimierung oder den angemessenen Umgang mit den Spielräumen kapitalmarktfreundlicher Bilanzgestaltung.

Weiters beeinflusst der Aufsichtsrat durch sein Diskussions- und Stimmverhalten die Kommunikationspolitik zu Fragen der gesamtgesellschaftlichen, sozialen und ökologischen Verantwortung mit. Es sollte aus seiner Handlungsweise deutlich erkennbar sein, dass es gegenüber dem Management keine Doppelbotschaften oder gar versteckte Kumpanei bezüglich rechtlicher Grenzgänge gibt. Darüber hinaus sollte in gut eingespielten Gremien Einigkeit darüber herrschen, woran, außer an Zahlen, Unternehmenserfolg „sonst noch“ gemessen wird.

In keinem dieser Themenfelder geht es um operative Einmischung des Aufsichtsrates in die Agenden des Managements. Einfluss entsteht hier lediglich aus dem Umgang mit auftretenden oder aktiv in die Sitzung eingebrachten Themenstellungen, zu denen sich der Aufsichtsrat mit bestimmten Werthaltungen positioniert. Der Umgang mit solchen Fragen prägt letztlich die grundlegende Unternehmenskultur. Diese entscheidet darüber, ob es in einem Unternehmen gelingt, über die regelmäßige Erfüllung jährlicher Planvorgaben hinaus nicht nur Kunden und Marktpartner sondern auch die Mitarbeiter/innen zu überzeugen.

Die Kommunikationskultur eines gut geführten, qualitätsvollen Aufsichtsrates prägt insoferne auch den Kommunikationsstil der Führungskräfte mit ihren Mitarbeiter/innen. Wenn im Aufsichtsrat informations- und konfliktfreudig diskutiert wird, entlastet dies das Management und stärkt ihm den Rücken für die Entwicklung eines leistungsfreudigen, wertschätzenden, kooperativen Arbeitsstils. Wesentliches Merkmal einer offenen Unternehmenskultur ist auch ein gelingendes Zusammenwirken von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf möglichst allen Ebenen der Unternehmenshierarchie. Die Frage, ob es gelingt, die Begabungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern richtig einzusetzen und die Herausbildung „gläserner Decken“ zu verhindern, an denen Weiterentwicklung von Mitarbeiterinnen scheitert, wirkt tief in die Gesellschaft zurück. Die diesbezügliche Prägung eines Unternehmens wird von der Zusammensetzung des Aufsichtsgremiums unmittelbar mitbestimmt. Die Einführung von Mindestquoten weiblicher Mitwirkender in Aufsichtsräten kann deshalb ein wichtiger Anstoß für eine Verbesserung der Unternehmenskultur sein.

Unternehmen verdanken ihren Erfolg meist einem inneren, sinnstiftenden Zusammenhalt. Nur mit der richtigen inneren Verfasstheit können sie im Rahmen der gelebten Unternehmensverfassung erfolgreich sein. Das Bemühen um Wahrhaftigkeit und ehrliches Ringen um sachgerechte Lösungen sind erfolgversprechender als bloße Regel-Konformität. Dies schlägt sich letztlich auch in entsprechenden Markterfolgen und gesteigerter Attraktivität des Unternehmens für Mitarbeiter/innen und Marktpartner nieder. Darin, und nicht in der bloß formalen Erfüllung regulativer Anforderungen, liegt der eigentliche Wert gelungener Corporate Governance.

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