die furche - 360

Vom Forschen, Staunen und Glauben

Nach Anton Zeilinger schließen Wissenschaft und Religion einander nicht aus, sondern ergänzen sich gegenseitig. Deshalb reicht die Verantwortung der Forschung über ihren wissenschaftlichen Zweck hinaus.

Ludwig Wittgenstein hat es einst auf den Punkt gebracht: Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. Und ergo auch nichts darüber schreiben. Ob er wohl gutgeheißen hätte, wenn man schreibt, worüber man nicht sprechen, sondern nur staunen kann? Über Astronomie und Physik zum Beispiel? Einen Versuch ist es wert!

Wunderbare Gelegenheiten zum Staunen bieten nämlich die seit vergangenem Sommer durch das James-Webb-Teleskop digital zugänglichen Ein- und Ausblicke in das All und seine Entstehungsgeschichte – eine willkommene Ablenkung von den verstörenden Tagesmeldungen aus Politik und sozialen Medien. Die Betrachtung all der so bunt-prächtigen wie rätselhaften Sternenhaufen, Milchstraßen und Schwarzen Löcher mit ihrem unerschöpflichen Formen- und Farbenspiel erweisen sich als Fantasie- und Energiequelle für Geist und Seele. 

Die spektakuläre Veranschaulichung entferntester Formationen – nicht weniger als 26500 Lichtjahre trennen uns vom Zentrum unserer Galaxie – ist in ihrer überwältigenden Wirkung am ehesten mit jener der ersten Aufnahmen von unserer Erde nach der Mondlandung vergleichbar, die zu Weihnachten 1968 über die Fernsehschirme flimmerten. 

Sie ermöglicht sensationelle Einblicke in die Entstehungsgeschichte eines Universums, das so naturgesetzhaft wie unbegreiflich zugleich ins Unendliche expandiert. Dabei erweist sich die in ihrer schwelgerischen Exaktheit faszinierende Raumfahrt- und Aufnahmetechnik von heute als großartige Gemeinschaftsleistung von Forschungsteams aus aller Welt und lässt darüber staunen, was alles menschen-möglich ist. Das ist tröstlich in Zeiten, die uns täglich vor Augen führen, wozu der Mensch auch sonst noch fähig ist.

Im Vergleich zu diesen Ein- und Ausblicken nehmen sich die milliardenteuren Versuche, unser Leben in ein digitales Meta-Versum zu verwandeln, einigermaßen großmannssüchtig aus. Ebenso die Einkreisung unserer Erde durch eine unbegreiflicherweise von niemandem ernsthaft regulierte Überzahl an Satelliten aller Art, die eben nicht nur friedlichen Zwecken der Kommunikation, sondern – wir erleben es gerade – vor allem auch kriegerischen Zielen dienen. Aus jedem Wett-Forschen wird so zugleich ein Wett-Rüsten.

Wie vorläufig noch unschuldig wirken dagegen die imponierenden Fortschritte in der Quantenphysik, für die „unser“ Nobelpreisträger Anton Zeilinger gewürdigt wurde. Aufbauend auf Einstein´schen Erkenntnissen zur Gravitation hat er unbeirrbar ein Quanten-Wunderland erforscht, das Türen zu ganz neuen physikalischen Räumen eröffnet. Seine uneitle Art, mit dieser Ehrung umzugehen, passt zu der undogmatischen Sicht der ewig offenen Frage der Vereinbarkeit von Wissen und Glauben: „Als Naturwissenschafter kann man nur Agnostiker sein. Aber als Mensch kann man Atheist, Agnostiker oder gläubig sein. In Wahrheit ergänzen Wissenschaft und Religion einander.“  In einer Zeit, in der wir immer mehr zu „metaphysisch Obdachlosen“ (© Hubert Scheibl) werden, tut eine solche Aussage gut!

15. Dezember 2022

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