Die furche - 353

Deglobalisierung braucht viel Zeit

Eine überhastete Entkoppelung der globalen Handelsbeziehungen würden die westlichen Marktwirtschaften nicht verkraften.

Als die Welt noch in Ordnung war, legte die EU-Kommission am 23. Februar dieses Jahres, einen Tag vor dem Überfall der russischen Armee auf die Ukraine, einen Richtlinienentwurf über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen vor. Dessen wohldurchdachter Text ist vom Willen geprägt, durch soziale und ökologische Kontrolle der Lieferketten von in internationaler Arbeitsteilung erzeugten Produkten – so wörtlich – „eine Wirtschaft im Dienste der Menschen zu verwirklichen und den Rechtsrahmen für eine nachhaltige Unternehmensführung zu verbessern“. Jahrelange Vorarbeiten in Richtung einer Wettbewerbsordnung, die fair produzierende Unternehmen nicht weiter gegenüber Konkurrenten benachteiligt, die unter prekären Arbeits- und Umweltbedingungen produzieren (lassen), finden damit einen gewichtigen konzeptionellen Abschluss.

Vor wenigen Tagen nun hat die EU-Kommission sogar noch nachgelegt und vorgeschlagen, Produkte, die in Zwangsarbeit hergestellt werden, auf dem EU-Markt zu verbieten und damit einen spürbaren Beitrag zu deren Bekämpfung zu leisten. In Anspielung auf die kurz zuvor durch die UN-Menschenrechtsbeauftragte Michelle Bachelet vor der Weltöffentlichkeit dokumentierte Zwangsarbeit von Angehörigen muslimischer Minderheiten in der Provinz Xinjiang wird festgehalten, dass auch staatlich angeordnete Arbeits- und Menschenrechtsverstöße künftig durch Importverbote zu unterbinden wären. Diese handelspolitische Drohgebärde gegenüber China mag inhaltlich berechtigt sein. Sie ist allerdings auch risikoreich. 

Denn dass der Ukraine-Krieg die Globalisierung, wie sie bisher zu verstehen war, wohl irreversibel in eine ganz andere Richtung zwingt, zeigte sich zuletzt anlässlich des Treffens der um China, Russland und Indien versammelten Staatschefs im usbekischen Samarkand. Sie machten deutlich, dass globales Wirtschaften nicht mehr zwingend westlicher Mitwirkung bedarf. Der bisher auf Öffnung ausgerichtete globale Entwicklungspfad wird durch einen geopolitischen Wettbewerb konkurrierender Staatenbündnisse abgelöst, an deren Spitze das wirtschaftlich erfolgreiche China unter seinem höchst ehrgeizigen Staatspräsidenten Xi Jinping steht.

So unvermeidbar in dieser neuen Weltlage eine schrittweise Entkoppelung der Handelsbeziehungen („Deglobalisierung“) auch sein mag: sie braucht sehr viel Zeit!

Man kann deshalb nur hoffen, dass die brisanten Leuchtgewitter rund um Taiwan nicht unter amerikanischer Anleitung zu einer handelspolitischen Verhärtung gegenüber China führen. In einem solchen Fall könnte sich nämlich Europa verpflichtet fühlen, die neuen EU-Regeln für Unternehmen zur Unzeit als staatliches Sanktions-Instrument einzusetzen. Angesichts der extremen Abhängigkeit von chinesischen Rohstoffen und Zulieferungen – sie ist um ein Vielfaches höher als jene der USA – wäre das nicht nur kontraproduktiv, sondern schlicht nicht verkraftbar. Die Verantwortung für saubere Lieferketten sollte deshalb den Unternehmen überlassen werden und nicht als Sanktionsinstrument dienen.

22. September 2022

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