die furche - 351

Ist aller Schuld niemandes Schuld?

Dass die Vereinten Nationen bei der Bekämpfung des Hungers versagen und damit die nächste Migrationskrise auslösen, ist unentschuldbar.

Die politisch entlastende Technik des Abschiebens eigener Verantwortung auf multilaterale Gremien erfreut sich bei brennenden globalen Problemen zunehmender Beliebtheit. Wenn alle Schuld tragen und ihre Schuld demnach gemeinsam schultern, muss sich niemand schuldig fühlen. Jüngstes Beispiel dafür ist das multilaterale Versagen in Sachen Welt-Hungerhilfe.

Vor wenigen Wochen erst war einer lapidaren Agenturmeldung zu entnehmen, dass die Vereinten Nationen in zahlreichen Ländern Ost- und Westafrikas die Essensrationen für Flüchtlinge „wegen steigender Nachfrage bei zugleich fehlenden Finanzmitteln“ um bis zu 50 Prozent kürzen müssten. Als hätte die Welt aus den Folgen der Kürzungen der Essensrationen in den syrischen Flüchtlingslagern des Jahres 2015 nichts gelernt! Es folgte eine Aufzählung der vorrangig betroffenen afrikanischen Staaten, von Kenia über Somalia bis Uganda und von Angola über den Jemen bis zum Kongo.

Noch gar nicht enthalten war Äthiopien, wo ein grausamer Bürgerkrieg die Menschen vor allem der nördlichen Region Tigray in den Hunger treibt, der von dem 2019 offensichtlich zu Unrecht mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Staatspräsidenten Abiy Ahmed angeheizt wird. Dass uns die dort in Lebensgefahr schwebenden Menschen in einem Spendenappell des Roten Kreuzes via Radio ans Herz gelegt werden, deutet auf eine schwer erträgliche Verwechslung von Ursache und Wirkung hin. In einer Zeit, in der uns Kriegsmeldungen aus der europäischen Nachbarschaft belasten und in Folge des Ukraine-Kriegs neue Hungersnöte drohen, darf einfach nicht der Anschein erweckt werden, es hinge von unser aller privater Spendenbereitschaft ab, ob sich das auf dutzende Krisenherde verteilte menschliche Leid lindern lässt.

In Wahrheit sind die großflächigen globalen Ernährungsprobleme – 345 Millionen Menschen gelten als akut vom Hungertod bedroht – nur durch konsequente internationale friedenspolitische Zusammenarbeit und nur dann ansatzweise lösbar, wenn die Geldmittel für die zuständigen Organisationen massiv aufgestockt werden. Humanitär höchst bewährte NGOs wie Rotes Kreuz oder Caritas müssen endlich – spendenunabhängig – mit auf Jahre voraus garantierten Fixbeträgen in die Lage versetzt werden, dem bedrückenden Zwang zu permanenten Not-Ernährungs-Triagen zu entkommen.

Dass Österreich seinen jährlichen Beitrag für das Welternährungsprogramm zuletzt von beschämenden 3,5 Millionen auf herzeigbare 14,5 Millionen Euro erhöht hat, kann deshalb nur ein Anfang sein. Nun gilt es, in den europäischen Gremien auf eine deutliche Aufstockung der globalen Fixzuwendungen für dieses Programm hinzuarbeiten, zumal die jährlich erforderlichen 14 Milliarden US-Dollar in Relation zu den zuletzt mobilisierten Geldmitteln für Waffensysteme geradezu vernachlässigbar gering erscheinen.

Dass sich die PolitikerInnen aller Herren Länder auch diesmal darauf verlassen, dass keiner Schuld ist, wenn alle Schuld tragen, sollten wir nicht durchgehen lassen!

25. August 2022

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