die furche - 340

Nachrüsten für einen neuen Pazifismus

Erhöhte Militärausgaben sichern noch keinen Frieden - mindestens ebenso wichtig sind Investitionen in aktive Friedenspolitik.

In einem der tiefer gelegenen Fächer meiner Bibliothek lagert noch immer ein ganzer Stapel von Singles. Auch wenn sie sich schon seit ewigen Zeiten nicht mehr auf einem Plattenteller gedreht haben: eine Trennung von diesem Archiv der Erinnerungen an meine Gymnasial- und Studienzeit kommt nicht in Frage. Einer der Songs, die mich damals ebenso begeisterten wie aufwühlten, war „Eve of destruction“ von Barry McGuire. Zu Zeiten des Vietnamkrieges rebellierte er darin gegen die atomare Rüstung und eine gegenüber den Anliegen der jungen Generation taube politische Elite. Ob seiner Aufmüpfigkeit wurde der Song von einigen US-Sendern zunächst gar nicht gespielt, kletterte dann jedoch im Sommer 1965 innerhalb weniger Wochen an die Spitze der Charts. Das Wiederhören nach so langer Zeit – selbstredend über einen Streaming-Dienst – bewegte mich angesichts der bedrückenden Meldungslage so direkt und emotional wie seinerzeit.

Zugleich wurde mir in aller Deutlichkeit bewusst, dass der Pazifismus von damals auf heutige geopolitische Auseinandersetzungen nicht mehr anwendbar ist, führt doch der Angriffskrieg auf die Ukraine zu einer noch vor wenigen Wochen für undenkbar gehaltenen Neuorientierung in Fragen der Verteidigungsbereitschaft. Die Einsicht wächst, dass jedes „Give peace a chance“ mit der Bereitschaft einhergehen muss, sich militärisch gegen künftige Angriffe auf unsere so selbstverständlich gewordenen zivilisatorischen Freiheiten zu wappnen. Frankreich denkt erstmals laut über eine Europäisierung seines atomaren Arsenals nach und der Gedanke an eine gemeinsame europäische Streitmacht, mit der man sich von dem bis vor kurzem nie ernsthaft in Frage gestellten US-amerikanischen Protektorat emanzipiert, ist kein Tabu mehr.

Dennoch verliert das Bertha von Suttner´sche „Die Waffen nieder“ nicht an Bedeutung. Denn die Geschichte der im arabischen, afrikanischen, nahöstlichen und asiatischen Raum ausgetragenen Kriege der letzten Jahrzehnte hat auf drastische Weise aufgezeigt, dass ein bloßes Niederringen von Gegnern nicht ausreicht. Die Einsicht, dass kriegstüchtig sein muss, wer Frieden bewahren will („Si vis pacem para bellum“), führt offensichtlich in der Mehrzahl der Fälle zu keinem nachhaltigen Frieden.

Der aktuelle gewissensakrobatische Spagat zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik in Rüstungsfragen wird deshalb wohl nur dann zu bewältigen sein, wenn künftighin nicht nur die Militärausgaben, sondern zugleich auch die Mittel für Friedenspolitik deutlich erhöht werden. Bei weltweiten Militärausgaben von jährlich über 2 Billionen Dollar und im Vergleich dazu absurd niedrigen 25 Milliarden für humanitäre Hilfe kann es jedenfalls nicht bleiben.

Erfüllbar ist diese Forderung jedoch nur, wenn die Chancen auf globalen Austausch intakt bleiben. Schon deshalb darf aus gezielten Wirtschaftssanktionen kein ausgewachsener, wertvernichtender Wirtschaftskrieg werden. Denn erfolgreiche Friedenspolitik ist unabdingbar auf ein Mindestmaß an Wirtschaftspazifismus angewiesen.

07. April 2022

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