Die furche - 339

Das Ende vom Ende der Geschichte

Am erhofften Ende der Geschichte erwartet uns ein unsanftes Erwachen in der Globalisierungs-falle.

In der Chance auf die globale Verbreitung einer liberal-demokratischen Gesellschaftsordnung nach dem Ende des „Kalten Krieges“ sah bekanntlich Francis Fukuyama 1992 im gleichnamigen Bestseller so etwas wie „Das Ende der Geschichte“. Und obwohl seine verführerische These bereits 2001 mit dem Twin-Tower-Attentat falsifiziert wurde, reichten all die seit damals geführten Kriege nicht aus, um die Hoffnung auf eine friedliche Welt(wirtschafts)ordnung nachhaltig zu zerstören. Es war einfach zu verlockend, einem solchen „Narrativ“ zu vertrauen.

Was aber bleibt jetzt noch davon übrig? Erleben wir gerade das Ende vom Ende der Geschichte? Oder schlägt sie einfach nur wieder einmal ein neues Kapitel auf, dessen Überschrift wir nur noch nicht kennen? Hatten vielleicht sogar Hans Peter Martin und Harald Schumann Recht, als sie 1996 davor warnten, die weltweite Öffnung für internationale Arbeitsteilung könnte zur „Globalisierungsfalle“ werden?

Wir sind gerade Zeitzeugen eines geopolitischen Szenenwechsels. Von einer Weltsekunde auf die andere gilt mit einem Mal als unbestritten, dass gegenseitige Abhängigkeiten mit immensem Aufwand abzubauen und Eigenproduktionen um fast jeden Preis zu stärken sind. Im Gefolge der Wirtschaftssanktionen massiv auftretende Rohstoff- und Lieferkettenprobleme erzwingen quer über den Globus den schmerzhaften Rückbau arbeitsteiligen Wirtschaftens. Mit der Friedensdividende ist es somit vorbei – auch wenn das auf Jahre hinaus mit hohen Inflationsraten, Wachstumsschwäche, überbordender Verschuldung und unvermeidbaren Einbußen an Wohlstand verbunden sein wird.

Im künftigen ökonomischen Kräfteparallelogramm nehmen die USA und China dominierende Rollen ein. Die durch die Ukraine-Krise zusammenwachsende Europäische Union kann zwar wirtschaftlich zweifellos mithalten, muss aber außen- und verteidigungspolitisch entscheidend zulegen. Völlig offen ist hingegen, ob Russland in einer Zeit nach Putin in der Lage sein wird, die unheilvolle Oligarchisierung seiner Ökonomie durch ein auf breiterer wirtschaftlicher Teilhabe aufgebautes System abzulösen.

Während nämlich China den Systemwechsel von der Plan- zur Marktwirtschaft für den Aufbau von breitem Wohlstand genützt hat und die Einkommen der weniger wohlhabenden Bevölkerungshälfte in den letzten drei Jahrzehnten um das Vierfache steigern konnte, wurde die russische Vergleichsgruppe im selben Zeitraum um ein Viertel ärmer. Auch das erklärt, warum Putin nationalistisches Imponiergehabe an den Tag legt, statt sich der Zustimmung seiner Bevölkerung durch wirtschaftliche Erfolge zu versichern.

Aber was rede ich. Die tägliche Unsicherheit über die weitere Entwicklung des Kriegsgeschehens lässt noch keinen Raum für weitergreifende Überlegungen. Jetzt kommt es doch vor allem darauf an, dass Europa seine Funktion als humanitärer Korridor einer freien, demokratischen, weltoffenen Gesellschaft in einer zunehmend von Autokraten und Diktatoren missbrauchten Welt anständig ausfüllt. Bis zum nächsten Ende der Geschichte.

24. März 2022

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