die furche - 325

Über Festspiele in Krisenzeiten

Die Verwestlichung mit ausschließlich militärischen Mitteln ist gescheitert - ernsthafte Friedenspolitik verdient eine Chance!

Flüchtlingsdramen in Kabul – Beziehungsdramen auf der Bühne. Wieder einmal hat sich in diesen Tagen die Frage gestellt, ob in Krisenzeiten Festspiele gefeiert werden dürfen. Die Festspielgründer Hugo von Hofmannsthal und Max Reinhardt glaubten jedenfalls daran, als sie dem Zerfall der Donaumonarchie ihr kühnes Projekt entgegenstellten. Aus derselben Überzeugung ermöglichten die amerikanischen Befreier schon im Sommer 1945, dass wieder Mozart-Opern und der von den Nationalsozialisten verbotene „Jedermann“ zu erleben waren.

In den Jahren davor hatte sich auf bittere Weise gezeigt, wie Kunst auch zur Mobilisierung falscher Ideale missbraucht werden kann. Die Karrieren von dem Nazi-Regime gefügigen Dirigenten, die nach dem Krieg zu Konzertsaal-Heroen der Wiederaufbaujahre wurden, geben davon Zeugnis. Musik ist eben nicht immer „heilige Kunst“, wie das der Komponist in der Oper „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss so hoffnungsfroh postuliert. Sie lässt sich auch „instrumentalisieren“.

Ins Positive gewendet: das Anliegen, der „humanistischen Utopie“, von der Julian Nida-Rümelin in seiner Festspiel-Eröffnungsrede sprach, zu neuen Chancen zu verhelfen, ist gerade jetzt wieder von brennender Aktualität. Denn alle Versuche der letzten beiden Jahrzehnte, Demokratien westlichen Zuschnitts vorrangig mit militärischen Mitteln zum Werte-Urmeter aller Kulturkreise der Welt zu machen, sind trotz eines Allzeit-Hochs an Rüstungsausgaben gescheitert.

Der Cicero zugeschriebene Leitsatz „Si vis pacem, para bellum“ – wenn Du Frieden willst, sei für den Krieg gerüstet – mag im Kalten Krieg funktioniert haben. Er taugt aber nicht zur Durchsetzung demokratiepolitischer Standards in den meisten Staaten Asiens, Afrikas und des Nahen Ostens. Vielversprechender wäre hier wohl jenes „Si vis pacem, para pacem“ für das einst nicht nur Bertha von Suttner kämpfte, sondern auch ihr Mitstreiter Alfred Hermann Fried, der 1921 verstorbene und weitgehend in Vergessenheit geratene zweite österreichische Träger eines Friedensnobelpreises.

Für ernst gemeinte Friedenspolitik – ihre Ziele und Instrumente sind in den UN-Entwicklungs- und Nachhaltigkeitszielen schon seit Jahren festgeschrieben – wären im Vergleich zu heute deutlich höhere, durch Kürzung der Rüstungsausgaben freiwerdende Mittel einzusetzen. Die Friedensdividende daraus käme letztlich allen zu gute. Nur die Rüstungsindustrie, deren Kapitalmarktbewertung seit 2001 auf das Zehnfache angestiegen ist, müsste sich auf härtere Zeiten einstellen. Die Durchsetzbarkeit von Friedenspolitik würde damit zugleich zur Messlatte für die Unabhängigkeit gewählter Politiker von deren Lobbys.

Aber halt: ich bin dank der Befassung mit der Rolle von Festspielen in Krisenzeiten vom Thema ab- und ins Träumen gekommen. Hochkultur-Veranstaltungen mögen ja nicht als Weltverbesserungsanstalten funktionieren, aber sie erscheinen mir jetzt erst recht unverzichtbar als Denk- und Orientierungsräume abseits medialer Alltäglichkeit.

02. September 2021

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