die furche - 321

Chinas Konvergenz: Ende einer Illusion

Markt und Mao: China schafft ordnungspolitisch die Quadratur des Kreises

Staatspräsident Xi Jinping ließ anlässlich des 100-jährigen Gründungsjubiläums der Kommunistischen Partei Chinas mit ernüchternd martialischer Rhetorik aufhorchen. In Anspielung auf die historische Chinesische Mauer drohte er allen, die durch Einmischung in innerchinesische Angelegenheiten provozieren, sie würden auf eine „große Mauer aus Stahl“ treffen und sich dabei „den Kopf blutig stoßen“. Fragen nach Menschenrechten und Meinungsfreiheit im Land der aufgehenden Sonne sollen demnach tunlichst unterbleiben. Gleiches gilt für jegliche Unterstützung Taiwans, dessen Unabhängigkeit mittelfristig wohl ebenso fallen wird wie jene Hongkongs.

Die lange vorherrschende Erwartung, China würde mit zunehmenden ökonomischen Fortschritten am Ende zu einer Demokratie westlichen Musters konvergieren, erweist sich damit wohl endgültig als unerfüllbar. Denn mit der Ermunterung unternehmerischen Handelns bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung eines absoluten Primats der Partei hat Chinas KP so etwas wie die ordnungspolitische Quadratur des Kreises geschafft. Zugleich führen die zentralen Entscheidungsprozesse zu Aufholleistungen bei Infrastruktur- und Forschungsprojekten, wie sie unter den föderalistisch-demokratischen Vielparteiengesellschaften Europas in so knapper Zeit schlicht nicht machbar wären. Dies verschärft den Wettbewerb der Systeme noch mehr.

Mit der abgrenzenden Droh-Rhetorik des in Mao-Uniform auftretenden Parteivorsitzenden kommt nun auch die seit einem guten Vierteljahrhundert zur Routine gewordene globalisierte Wirtschaftsweise unter Druck. Anstelle der ausbleibenden Konvergenz ist künftighin wohl nicht mehr zu erhoffen als „friedliche Koexistenz“ – eine Metapher, die meiner Generation noch aus Zeiten des „kalten Krieges“ in Erinnerung ist.

Wie soll die westliche Welt, wie soll Europa damit umgehen? Wie kann die unverzichtbar bleibende Abwägung zwischen Freihandels- und Menschenrechten gelingen?

Unspezifische Boykottdrohungen wären allein wegen ihrer umfassenden volkswirtschaftlichen Folgekosten nicht zielführend. Zu eng sind die Lieferketten der wichtigsten Produktgruppen miteinander verbunden, zu untrennbar verflochten ist die arbeitsteilige Wertschöpfung in der Automobilbranche, der Solarindustrie, der Textilwirtschaft oder bei digitalen Komponenten. Tauglicher als generelle Handelsbeschränkungen könnte hingegen die Verpflichtung westlicher Produzenten zur Kontrolle ihrer Lieferketten sein, wie eine jüngst gegen französische Mode-Labels eingebrachte Klage gegen Zwangsarbeit muslimischer Minderheiten bei chinesischen Vorlieferanten zeigt.

Europa steht überdies vor der Herausforderung, in Verbindung mit den Lehren aus der Covid-Krise massiv in technologiepolitische Unabhängigkeit zu investieren. Das gilt vor allem für Bereiche, in denen die Verflechtung mit China – aber auch den USA – zu Abhängigkeiten führt, die uns politisch erpressbar machen. Nur so lässt sich das Überleben in der Triade der Wirtschafts-Großmächte unter Wahrung der zentralen demokratiepolitischen Werthaltungen langfristig absichern.

08. Juli 2021

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