die furche - 318

In der Sackgasse der Unversöhnlichkeit

Obwohl gerade jetzt Professionalität und Kooperation gefragt wären, nimmt die Stunde der Parteilichkeit einfach kein Ende.

Wieder einmal musste der Bundespräsident ausrücken, um an Grundregeln des politischen Zusammenlebens zu erinnern. In einer Videobotschaft appellierte er an Respekt vor dem Rechtsstaat, Fairness und besseren Umgang miteinander. Jeder seiner Auftritte erinnert mich daran, wie (a….-)knapp er die Präsidentschaftswahl gegen den „Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist“-Mitbewerber gewonnen hat. Nicht auszudenken, wie wohl ganz anders dieser nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos mit unserer Verfassung umgegangen wäre.

Meinem Grundverständnis nach sollte neu gebildeten Regierungen nach Möglichkeit parlamentarische Luft zum Atmen und zur Umsetzung ihres Programms gegeben werden, bevor ein nächster Wahlkampf beginnt. So lautete ja auch 2007 die Begründung für die Verlängerung der Legislaturperiode auf fünf Jahre. Schon deshalb steht auch der türkis-grünen (und nur durch glückhafte, ibizaeske Fügung nicht mehr türkis-blauen) Koalition ein angemessener Spielraum zur Umsetzung ihrer ambitionierten Vorhaben zu. Umso mehr, als die soziale und wirtschaftliche Bewältigung der Covid-Krise im internationalen Quervergleich als durchaus herzeigbar gelten kann und ab sofort alle Energie in die Minimierung von deren Folgekosten investiert werden sollte.

Aber da habe ich wohl die Rechnung ohne jene gemacht, die sich schon so an den Modus ständiger Wahlkämpfe gewöhnt haben, dass sie einander den nötigen Spielraum schlicht nicht einräumen wollen. Die Stunde der Parteilichkeit, von der man erwarten sollte, dass sie mit geschlagener Wahl endet, will einfach kein Ende nehmen.

Ja, der Umgang mit der Neubesetzung der Gremien der Staatsholding ÖBAG war unbestreitbar grob fahrlässig. Das muss zweifellos seinen politischen Preis haben. Der kann aber nicht darin bestehen, das Leugnen peinlicher Notlügen bezüglich des Grades der Involviertheit in die Bestellungsvorgänge durch den Bundeskanzler vor dem Untersuchungsausschuss noch vor einem gerichtlichen Urteil als kriminellen Akt einzustufen. Neuwahlen sind jedenfalls nicht das, was wir jetzt am dringendsten brauchen.

Wohl aus Sorge über all das ertappte ich mich mitten während der inspirierenden Europa-Tagung auf Schloss Seggau dabei, jenen Geist der Verständigung herbeizusehnen, mit dem ich das Pfingstfest verbinde. Denn von der Bereitschaft, der gemeinsamen Sache des europäischen Friedensprojekts zu Liebe auch in herausfordernden Sachthemen kompromissbereit zu bleiben, lebt nicht nur die Europäische Union sondern auch jeder Nationalstaat.

Mehr Professionalität, Ernsthaftigkeit und konstruktives Handeln wären angesichts der durch die Corona-Krise verschärften Probleme auf allen politischen Handlungsfeldern wahrlich angebracht. Demut vor dem politischen Amt, Verzicht auf Allmachtfantasien in Regierungs- wie Oppositionsrollen und größere Offenheit für Zusammenarbeit: das ist von beiden Seiten nicht zu viel verlangt. Denn die Fortsetzung des bisherigen Kurses führt in die Sackgasse der Unversöhnlichkeit.

27. Mai 2021

download