die furche - 299

Plädoyer fürs richtige Abbiegen

Richtig abbiegen heißt, über durchdachte Nachbesserungen für gut integrierte und ausgebildete Asylwerber zu verhandeln.

Über 80.000 UnterstützerInnen konnte der damalige oberösterreichische Integrations-Landesrat Rudolf Anschober für seine überparteiliche Allianz „Ausbilden statt Abschieben“ gewinnen. Mit ihnen stimmten mehr als 2000 Unternehmen und zahlreiche Gemeinden gegen die Praxis, junge Menschen mit negativem Asylbescheid direkt von der Lehrbank weg in ihre politisch unsicheren, meist völlig entfremdeten Herkunftsländer zurück zu verbannen.

Dass sich die Anstrengung gelohnt hat, zeigte sich, als das österreichische Parlament am 11. Dezember vergangenen Jahres – gegen Ende der Amtszeit der Post-Ibiza-Interims-Regierung – einen Abschiebestopp für Lehrlinge während ihrer Ausbildungszeit beschloss. Die Vorlage zur Gesetzesnovelle stammte von der Volkspartei, die an einer nicht allzu weitmaschigen Umsetzung des auch aus ihrer Sicht berechtigten Anliegens interessiert war. Alle im Parlament vertretenen Parteien – mit der FPÖ als wenig überraschender Ausnahme – stimmten zu.

Nach Inkrafttreten dieses Gesetzes beginnende Lehrverhältnisse fallen jedoch nicht unter die neue Regelung. Auch kann die Rot-Weiß-Rot-Karte für Mangelberufe und Schlüsselkräfte derzeit nur vom Ausland aus beantragt werden. Minister Anschober will deshalb erreichen, dass Asylwerber mit negativen Bescheiden, die ihre Lehre abgeschlossen haben, dies auch von Österreich aus tun können. Integrationsministerin Susanne Raab ist gegen diesen Vorschlag und verweist auf die wegen der Corona-Pandemie deutlich verschärfte Lage auf dem Arbeitsmarkt, der schon bisher für mehr als 35.000 arbeitslose Flüchtlinge mit positivem Asylbescheid kaum aufnahmefähig war.

Das klingt nach validen Argumenten auf beiden Seiten und legt vertiefende Verhandlungen zwischen den Koalitionspartnern nahe. Bundeskanzler Sebastian Kurz lehnt jedoch derzeit Gespräche darüber ab und warnt davor, „falsch abzubiegen“. Das nachvollziehbare Ziel, keinen Rückfall in ungeregelte Einwanderungs-Verhältnisse zu riskieren, sollte ihn aber nicht daran hindern, sich gemeinsam mit dem grünen Koalitionspartner um durchdachte Ergänzungen in Fragen der Berufszulassung von zwar abgelehnten, aber gut integrierten und ausgebildeten Asylwerbern zu bemühen.

Die Wege zur politischen Wahrheit können nun einmal gerade in komplexen Situationen sehr verschlungen sein. So wissen wir heute, dass es in der Finanzkrise besser gewesen wäre, schon früher vom Tugendpfad der Budgetdisziplin abzuweichen. Daraus lernend, waren nun in der Corona-Pandemie praktisch alle Staaten bereit, mit der Inkaufnahme von Budgetdefiziten einen Totaleinbruch der Volkswirtschaft zu verhindern. Auf den ersten Blick wirken eben auch die besten Entscheidungen mitunter wie ein „falsches Abbiegen“.

Das eigentliche Hauptmotiv der Initiative „Ausbildung statt Abschiebung“ sind humanitäre Erwägungen. Sie vor allem gebieten es, trotz der unbestreitbaren Eintrübung des Arbeitsmarktes ernsthaft über sinn- und maßvolle Nachbesserungen des derzeitigen Zustandes zu verhandeln – mit dem Mut zum „richtigen Abbiegen“.

20. August 2020

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