die furche - 295

Missstände, die auf keine Kuhhaut gehen

Die soziale und ökologische Letztverantwortung von Unternehmen für die gesamte Lieferkette muss rechtlich verankert werden.

Denkmalstürmer protestieren allerorts gegen die seinerzeitigen Profiteure von Sklaverei und Menschenhandel. Das schärft unseren Blick für die meist verdrängten Formen zeitgenössischer Sklavenhaltung: Kinderarbeit in den Kakaoplantagen Westafrikas, in den Hinterhöfen der Textilfabriken Pakistans oder in den kongolesischen Kobalt-Bergwerken, aus denen der Schlüssel-Rohstoff für jene Batterien von Elektroautos gewonnen wird, mit denen wir in Hinkunft unser Klima-Gewissen beruhigen wollen.

Mit der Corona-Krise zeigt sich nun, dass es menschenunwürdige Arbeitsverhältnisse nicht nur in fernen Landen außerhalb unseres Blickfelds gibt. Von tausenden chinesischen Textil-Leiharbeitern in Italien über die prekäre Beschäftigung asiatischer Wanderarbeiter in Rumänien spannt sich der Bogen bis zu jenen Lohnsklaven, die von Subunternehmen des größten deutschen Fleischerzeugers in Elendsquartieren gehalten werden. Sie alle verrichten in Europa zu meist unter dem Mindestniveau der Gastländer liegenden Lohnkosten Arbeiten, für die sich – aus guten Gründen – keine Einheimischen mehr finden.

Dass es nun im Raum Gütersloh zu unzähligen Neuinfektionen kam, hat zugleich offengelegt, welche Zustände in Teilen der sogenannten „Fleischindustrie“ seit vielen Jahren herrschen. Die in Österreich deutlich strengeren, tierfreundlicheren Vorschriften bewahren uns nicht vor Importen von Billigfleisch problematischer Herkunft. Was da geschieht – nicht nur gegenüber den Arbeitskräften, sondern auch mit unseren tierischen Mit-Geschöpfen – geht im wahrsten Sinn des Wortes „auf keine Kuhhaut mehr“. (Diese aus dem Mittelalter stammende, zornige Sprachwendung bezieht sich darauf, dass der Teufel – vor der Erfindung des Papiers – die Sünden von Sterbenden auf aus Tierhäuten hergestelltem Pergament verzeichnete. Wenn die Liste so lang wurde, dass sie auf keiner Kuhhaut mehr Platz fand, war das ein sicheres Indiz für eine Fahrkarte zur Hölle.)

Mindestens ebenso vordringlich wie die hitzig verhandelte Corona-Wiederaufbauhilfe ist es deshalb gerade jetzt, endlich einen verbindlichen, gesamteuropäischen Rechtsrahmen für verantwortliches unternehmerisches Handeln zu schaffen. Einer der zentralen Hebel dafür liegt in der Verankerung der Letztverantwortung von Firmen für die soziale und ökologische Rechtskonformität der Produkte und Dienstleistungen, die sie von ihren Vorlieferanten beziehen.

Ein entsprechendes Gesetz wird in Deutschland bereits vorbereitet. Wie so oft, wenn ganze Rechtsmaterien wegen einzelner schwarzer Schafe verstrengert werden, wird es zu mehr Bürokratie führen. Dennoch liegt eine strikte unternehmerische Letztverantwortung für die gesamte Lieferkette nicht nur im Interesse der betroffenen Mitarbeiter und der Konsumenten, sondern auch der großen Mehrzahl jener Unternehmen, die verantwortungsvoll produzieren und damit tagtäglich beweisen, dass in einer wirtschaftspolitisch klug geordneten öko-sozialen Marktwirtschaft Wertschöpfung, Wertschätzung und Gemeinwohl zusammengehen.

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25. Juni 2020