die furche - 294

Land der unbegrenzten (Un-)Möglichkeiten

Die Finanzierung von Innovationen mit Wagniskapital wird immer wichtiger - das lässt sich von Amerika lernen.

Selten hat sich uns ein so gespaltenes Amerika-Bild geboten wie in diesen letzten Tagen. Die schier unbegrenzten Unmöglichkeiten eines irrlichternden Präsidenten, der in Krisen vor allem die Chance auf narzisstische Selbstinszenierung sieht, stehen in grellem Kontrast zu Blitzlichtern eines Landes der immer noch unbegrenzten Möglichkeiten.

Dass es etwa dem eigenwilligen Elon Musk gelingen konnte, eine bemannte Rakete zur Weltraumstation ISS zu entsenden, erscheint mindestens so erstaunlich wie die Tatsache, dass sein Elektroauto-Konzern Tesla trotz Verlusten zuletzt einen Börsenwert erreicht hat, der höher ist als jener der hoch profitablen Traditionsmarken VW, BMW und Daimler zusammen.

Zwar setzen die USA auf ein finanzkapitalistisch geprägtes Wirtschaftsmodell, das für uns Europäer in entscheidenden Bereichen nicht nachahmenswert ist. Wegen völlig unzureichender Abfederungen im Gesundheits-, Bildungs- und Pensionssystem stellt es in Kombination mit drastischer Ungleichheit jedenfalls kein Vorbild dar. Das uns vertraute Alternativmodell einer sozialen Marktwirtschaft ist ohne Zweifel ungleich attraktiver.  

Andererseits müssen wir aber zur Kenntnis nehmen, dass Innovationen und deren Finanzierung durch Wagniskapital in Zukunft immer wichtiger werden. Nicht zufällig haben die nach Börsenwert größten Unternehmen der Welt – von Amazon und Apple über Facebook bis Microsoft – ihren Firmensitz in den USA. Herausgefordert werden diese digitalen Plattformen wohl von chinesischen, kaum jedoch europäischen Mitbewerbern. Mit der Corona-Krise verschärft sich nun der geo-ökonomische Machtkampf zwischen den USA und China um die Vorherrschaft auf den Weltmärkten.

Da muss Europa sehen, wo es bleibt. Ein Kontinent konkurrierender Ökonomien, die sich mit alten, an nationalen Interessen ausgerichteten Wettbewerbsregeln künstliche Fesseln anlegen, sieht sich mit einem Mal vor der Notwendigkeit, wieder so etwas wie gemeinsame Industrie- und Innovationspolitik zu betreiben. Die gerade erst deutlich gewordene Abhängigkeit von asiatischen Zulieferern zeigt, worum es geht.

Noch klarer wird die Herausforderung mit dem Blick auf damit zusammenhängende sicherheits- und machtpolitische Fragen. Einseitig US-dominierte Systeme des Zahlungsverkehrs können nämlich ebenso wenig von Dauer sein wie die amerikanische Vorherrschaft in der Datenspeicherung. Die jüngste europäische Initiative, unter dem Arbeitstitel „Gaia-X“ endlich eine unabhängige Cloud-Infrastruktur zu schaffen, mit der wir unsere Unternehmen vor Industriespionage schützen können, zeigt in die richtige Richtung.

Entscheidend für das wirtschaftliche Bestehen Europas wird jedoch letztlich sein, ob seine Kapitalmärkte – gerade auch nach dem Ausscheiden Englands! – endlich besser ins Funktionieren kommen. Börsen dienen nun einmal der Finanzierung von Zukunftserwartungen und den damit verbundenen Arbeitsplätzen. In diesem Punkt können wir von Amerika lernen – trotz all der berechtigten Kritik an dem, was dort gerade schiefgeht.

10. Juni 2020

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