die furche - 292

Ein Urteil mit Ansteckungsgefahr

Wenn Verfassungsrichter Geldpolitik machen: droht dann die nächste Euro-Krise?

Das hat gerade noch gefehlt! Als hätte Europa mit der Bewältigung der massiven wirtschaftlichen Folgen der COVID19-Pandemie noch nicht genügend Sorgen, müssen wir ab sofort auch eine Welle gegenseitiger Ansteckung hoch verschuldeter Euro-Länder fürchten, wie sie aus der Eurokrise noch schmerzhaft in Erinnerung ist.

Auslöser dafür ist das jüngst ergangene, harsche Urteil des deutschen Verfassungsgerichtshofs, in dem er die seit 2015 betriebenen Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) für unzulässig, weil „kompetenzwidrig“ erklärt. In einem früheren Streit um ein 2013 zur Euro-Rettung eingesetztes Vorgängerprogramm war der Europäische Gerichtshof (EuGH) noch zu einem positiven Urteil gekommen, mit dem sich die deutschen Verfassungshüter abzufinden schienen. Diesmal holten sie jedoch weiter aus und stellten die geldpolitische Urteilskraft des EuGH gleich grundsätzlich in Frage. Zwei zentrale, bisher unangefochten souverän agierende europäische Institutionen geraten damit in massiven Rechtfertigungsdruck gegenüber dem wirtschaftlich gewichtigsten EU-Mitgliedsstaat.

Die EZB bekommt nun ganze drei Monate Zeit, um plausibel zu machen, dass die positiven Wirkungen ihres Ankaufsprogramms dessen von den Klägern behauptete Nachteile für Sparer, Immobilienmärkte und den Bankensektor deutlich übertreffen. Sollte das nicht gelingen, müsste die Deutsche Bundesbank ihre Mitwirkung an den Anleihekäufen einstellen.

Nur gut, dass die Folgen dieses währungspolitischen Richterspruchs derzeit noch unterschätzt werden. Finanzexperten machten nämlich in ersten Reaktionen allesamt tapfer freundliche Mienen zum bösen Spiel und gaben sich fest davon überzeugt, dass es den Notenbankern ein Leichtes sein werde, die passenden Begründungen für ihr Tun nachzuliefern. Allerdings ist zu befürchten, dass die Stimmung schon bald kippen könnte und die Finanzmärkte mit einer deutlichen Verteuerung der Anleihekosten für höher verschuldete Eurostaaten reagieren. Das wiederum wäre der Beginn einer neuerlichen Zerreißprobe für den Euro.

Genau darauf aber haben es die Beschwerdeführer – darunter der Ökonom Bernd Lücke, seinerzeitiger Gründer der AfD und CSU-Urgestein Peter Gauweiler – angelegt. Als fundamentale Gegner des Euro sehen sie in den auch bei durchaus Euro-freundlichen Experten umstrittenen Anleihekäufen eine willkommene Angriffsfläche gegen die Gemeinschaftswährung als solche.

Es rächt sich nun, dass die EZB ihre Politik bisher allein mit der Ankurbelung der Konjunktur und dem Anpeilen einer Mindest-Inflationsrate von knapp unter 2 Prozent begründet hat. Weitgehend verschwiegen wurde hingegen, dass die Staatsanleihen vor allem angekauft werden, um den ansonsten gefährdeten Zusammenhalt der Eurozone sicherzustellen. An der Offenlegung dieser Tatsache führt nun kein Weg mehr vorbei. Die gerichtlich erzwungene Stunde der Wahrheit muss deshalb für mehr Transparenz und eine Festigung des geldpolitischen Fundaments des Euro genutzt werden, statt weitere Rechtsunsicherheit zu riskieren.

14. Mai 2020

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