die furche - 288

In der Krise pausiert die Parteilichkeit

Die Prognosen von gestern sind heute schon überholt. Was noch vor wenigen Tagen als übertrieben galt, ist heute Normalität.

Seit der Finanzkrise gab es kein vergleichbares Staccato an besorgniserregenden Meldungen. Der jüngste Kurssturz an den Börsen spiegelt die massiven, zum Teil existenzgefährdenden Einbrüche der Realwirtschaft aller Unternehmensgrößen wider. In diesem Umfeld wirkt das Handeln der österreichischen Akteure zielgerichtet und besonnen, wenn auch naturgemäß nicht fehlerfrei.

So kam es nach den Parlamentsbeschlüssen vom vergangenen Sonntag in der Hitze des Gefechtes zu einem groben Kommunikationsversäumnis, als Mitarbeiter produzierender Unternehmen darüber im Unklaren gelassen wurden, ob sie ihre Arbeit am nächsten Tag überhaupt antreten dürfen. Mittlerweile ist klargestellt, dass ihr weiterer Einsatz natürlich höchst notwendig und erwünscht ist, weil andernfalls das Rückgrat der österreichischen Exportwirtschaft mit irreparablen Folgeschäden gefährdet wäre.

Insgesamt jedoch agieren die Mitglieder der Bundesregierung, der Oppositionsparteien und der Sozialpartner professionell. Die sonst so oft von sachgerechten Lösungen ablenkende Parteilichkeit macht in diesen Tagen Pause. Auch in den Medien – mit Ausnahme der „Sozialen“ – herrscht Zynismus-Stopp. Beeindruckend auch all die klugen und sympathischen ExpertInnen, die wir in den hervorragenden Informationssendungen des ORF kennenlernen dürfen.

Bei all der nun gebotenen physischen Distanz zu den Anderen ist die innere Bindungskraft unserer Gemeinschaft und dessen, was wir „Zivilgesellschaft“ nennen, in den letzten Tagen deutlich gewachsen. Eine schöne Widerlegung des polemischen Satzes der einstigen britischen Premierministerin Margret Thatcher: „There is no such thing as society!“.

Wie es weitergeht, lässt sich noch nicht absehen. Die Prognosen von gestern sind heute schon überholt, was noch vor wenigen Tagen als übertrieben galt, ist mittlerweile Normalität. Die Wirtschaftsforscher verfügen über keine Modelle, mit denen sich aus den Bruchstücken der neuen Wirklichkeiten treffsichere Prognosen ableiten ließen. Fest steht nur, dass der reale Schaden diesmal rascher eintritt als bei der Finanzkrise 2008. Während es damals mit einer massiven Krise des Finanz- und Bankensystems begann, die sich erst zeitverzögert auf Unternehmen und Konsumenten auswirkte, bricht diesmal mit der Sperre ganzer Geschäftszweige zuallererst die Realwirtschaft vor unser aller Augen ein.

Der mit dem ersten Hilfspaket eingeleitete budgetpolitische Tabubruch, vom geplanten Nulldefizit abzurücken, war ohne Alternative. Ihm muss wohl schon in wenigen Tagen die erste Aufstockung des Hilfsbudgets folgen. Dieser stufenweise Notfall-Modus ist realistisch und wohl auch seriöser als die in Deutschland verkündete unlimitierte Rettungszusage.

Vor einigen Jahren sorgte eine Image-Kampagne der Wirtschaftskammer mit dem Slogan „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut!“ für ebenso viel Zustimmung wie Aufregung. In Corona-Zeiten erleben wir nun den paradoxen Beleg dafür, dass dieser Satz auch umgekehrt Sinn macht: „Geht’s uns allen gut, geht’s der Wirtschaft gut!“

19. März 2020

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