die furche - 279

Über die Schweiz und das Ökono-Logische

Das Spektakuläre am Schweizer System ist seine Unaufgeregtheit und der Verzicht auf das Ritual der Parteilichkeiten.

Zugegeben: nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Dennoch konnte ich mir kürzlich während einer Bahnfahrt von Luzern nach Wien neidvolle Vergleiche der aktuellen demokratiepolitischen „Performance“ der beiden Nachbarstaaten nicht verkneifen. 

Bekanntlich hat ja auch die Schweiz vor kurzem gewählt. Wie bei uns legten die Grünen auf gut 13 Prozent kräftig zu. Im Gegenzug mussten alle vier derzeit in der eidgenössischen Regierung („Bundesrat“) vertretenen Parteien Stimmenverluste hinnehmen. Auf Grund ihrer neuen Stärke wird es nun im Laufe der kommenden Monate aller Voraussicht zur erstmaligen Mitwirkung der Öko-Partei in einem Ministeramt kommen.

Das aus österreichischer Sicht geradezu Spektakuläre daran: die bevorstehende Neuverteilung der Macht geht völlig unaufgeregt von statten. Sie ist Teil eines auf Kontinuität und geteilte Verantwortung angelegten Systems.

Sondierungen im Sinne von Eigentlich-Noch-Nicht-Verhandlungen zwischen Parteien, die einander erst abtasten, als käme jeder von einem anderen Stern, bevor sie tatsächlich zur Sache gehen, kennt die Schweiz nämlich nicht. Auch verzichtet man dort gerne auf die hierzulande mit erstaunlicher Geduld ertragenen, monatelangen, medial zelebrierten Hinhaltungen, begleitet von Zwischenberichten zur Befindlichkeit der handelnden Personen.

Es gilt nämlich der einleuchtende Grundsatz, dass die Parlamentsparteien proportional zu ihrer parlamentarischen Stärke auch in der Regierung vertreten sind. Diese wiederum verwaltet seit Menschengedenken nicht mehr und nicht weniger als sieben Ministerien mit klaren Zuständigkeiten. Den damit verbundenen Verzicht auf das bei uns übliche Last-Minute-Gefecht um Resorts mit ständig wechselnden Kompetenzen scheint die Schweizer Demokratie gut zu verkraften.

Da in einer derartigen Allparteien-Regierung nun einmal alle Mitverantwortung tragen, entfällt überdies im politischen Alltag das Ritual der Parteilichkeiten mitsamt den inszenierten Kraftmeiereien zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien. Das fördert die Sachlichkeit.

Und damit es nicht eintönig wird, bringen sich Bürgerinnen und Bürger in gut eingeübten direkt-demokratischen Abstimmungsprozessen politisch intensiv ein. Wenn das keine elegante Verfassung ist!

Aber genug der Tagträumerei. Ich will nicht unbescheiden sein. Immerhin scheint es nach all den Klimakatastrophen des Wahlkampfes zwischen den wortführenden Persönlichkeiten wieder eine Gesprächsbasis zu geben. Man redet sogar schon über einzelne Themenfelder, bevor noch verhandelt wird. Diese sich anbahnende Ernsthaftigkeit riecht nach einer Chance, die wohl sobald nicht wiederkommen wird – weder für Türkis noch für Grün. 

Dabei wäre es bei nüchterner Hinschau gar nicht so kompliziert. Kluges Wirtschaften und realistische Grünpolitik sind nun einmal keine unversöhnlichen Gegensätze – in einer erneuerten, von neoliberalen Entgleisungen geheilten, öko-sozialen Marktwirtschaft bedingen sie einander sogar. Eigentlich ganz „ökono-logisch“!

07. November 2019

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