die furche - 241

Italien ist “Too big to fail”

Im Unterschied zu Griechenland ist Italien zu groß, um es fallen lassen zu können, ohne den Euro als Ganzes zu gefährden.

Die äußersten Ränder des politischen Spektrums Italiens haben also doch noch einen gemeinsamen Nenner gefunden. Fundamentale Gegensätze der aus völlig konträren weltanschaulichen Biotopen stammenden Verhandlungspartner wurden so lange zurechtgebogen, bis schließlich die ausgeprägte Europaskepsis beider Lager zur einigenden Klammer wurde. Darin spiegelt sich eine durchaus verbreitete Stimmung in der Bevölkerung des einst europafreundlichsten EU-Mitgliedsstaates wieder, nachdem Italien mit seinen nicht weniger als 750.000 Flüchtlingen politisch schmählich im Stich gelassen wurde.

Vor allem aber eint die nationalistische Lega Nord und die anarcho-alternative Fünf-Sterne-Bewegung des Südens der Wunsch, das beengende budgetäre Regel-Korsett der Eurozone los zu werden. Drei Jahre nach der Griechenland-Krise geht es diesmal allerdings um eine Volkswirtschaft ganz anderer Dimension. Italien ist immerhin das Land mit der in absoluten Zahlen nach den USA und Japan drittgrößten Schuldenlast der Welt. Der Anteil der Staatsschulden an seiner Wirtschaftsleistung liegt mit über 130 Prozent bei mehr als dem Doppelten der in den so genannten Maastricht-Regeln vorgeschriebenen Grenze von 60 Prozent.

Wohl wurde die in einem Entwurfspapier des Regierungsprogramms aufgetauchte Forderung auf Streichung von 250 Milliarden Euro Schulden gegenüber der Europäischen Zentralbank mittlerweile wieder zurückgenommen. Sie weist aber doch auf den Geist hin, der da plötzlich weht. In Verbindung mit ambitionierten Steuersenkungsprogrammen und der Abschaffung einer gerade erst eingeführten Pensionsreform bahnen sich massive Konflikte mit der Europäischen Kommission über die Gebarung der Staatsfinanzen an. Der Unterschied zu Griechenland: Italien ist schlicht „too big to fail“, also zu groß, um es fallenlassen zu können, ohne damit auch den Euro als Ganzes zu gefährden. Anders gesagt: die EU ist damit erpressbar.

Es rächt sich nun bitter, dass Italien bei der Schaffung der Gemeinschaftswährung vor fast zwei Jahrzehnten mit seinem damals schon 110-prozentigen Schuldenstand eine großzügige Ausnahmeregelung zugestanden wurde. Als es dann im Schlepptau der Finanzkrise zur europäischen Staatsschuldenkrise kam, agierte man wieder an der Wirklichkeit vorbei: unserem südlichen Nachbarn wurde allen Ernstes die völlig unrealistische Forderung auferlegt, sein Schuldenniveau innerhalb von zwanzig Jahren auf 60 Prozent zurückzufahren. Bei ohnehin schwächelnder Konjunktur hätte dieser Kurs in die Depression geführt und noch viel früher im politischen Chaos geendet.

Dass Italien den Erfordernissen der Gemeinschaftswährung nie ganz gewachsen war, weil es sich in den Jahrzehnten vor dem Euro an die Praxis ständiger Abwertungen gewöhnt hatte, wurde die ganzen Jahre über völlig verdrängt. Allerdings funktioniert Verdrängung bekanntlich auf Dauer nicht – am wenigsten in der Ökonomie. Nun bedrängt Europa, was allzu lange aufgeschoben wurde. 

24. Mai 2018

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