die furche - 211

Wer denkt an Alle?

 

„Handle stets sachgerecht, menschengerecht und gesellschaftsgerecht“. Diesen zeitlos gültigen Imperativ klugen Wirtschaftens verdanken wir dem Sozialethiker, Universitätslehrer und Jesuiten Johannes Schasching. Anlässlich seines 100.Geburtstages ehrte ihn die Katholische Sozialakademie mit einem Symposium, bei dem eindrucksvoll deutlich wurde, wie lebendig das umfassende Lebenswerk des erste vor vier Jahren verstorbenen Doyens der katholischen Soziallehre nach- und weiterwirkt.

Als Zeitzeuge und Mitgestalter des Konzils prägte er die Sozialenzykliken des Papstes Johannes Paul II entscheidend mit. Auch der 1990 von den österreichischen Bischöfen erarbeitete Sozialhirtenbrief trägt seine Handschrift. Stets suchte und fand er zeit-gerechte Positionen zu den entscheidenden Fragen nach einer Wirtschaftsordnung, die Freiheit mit sozialem Ausgleich verbinden kann.

In dem breiten Spektrum der Soziallehre zwischen scharfer Kapitalismuskritik einerseits und Ablehnung kollektivistischer Lösungen andererseits, vertrat Schasching mit Blick auf die Wirklichkeiten modernen, arbeitsteiligen Wirtschaftens stets einen Ansatz der sozial-realistischen Mitte. So klar seine Standpunkte auch waren – er polarisierte nicht. Die Soziallehre der Kirche sei kein geschlossenes Lehrgebäude, meinte er einmal. Zwar brächte das Mosaik der unterschiedlichen Äußerungen in seiner Gesamtheit eine gemeinsame Botschaft zum Vorschein, dessen einzelne Steine jedoch enthielten ihre jeweilige zeitgebundene Eigenart. In respektvoll-diplomatischer Ausdrucksweise sagt er damit auch, dass Vieles von dem, was die Kirche zur Sozialen Frage äußert, eben nicht wörtlich genommen werden darf.

Wie hätte sich wohl Johannes Schasching zu den Sozialenzykliken seines Ordensbruders Papst Franziskus geäußert? Hätte er uneingeschränkt zugestimmt oder sich von dem einen oder anderen allzu tief einschneidenden Gedankensplitter distanziert? Wie wäre er wohl zu dem ominösen Satz aus Evangelii Gaudium gestanden: „Diese Wirtschaft tötet“?

Hätte er meine Sorge geteilt, dass eine solche Formulierung, auch wenn sie auf unleugbare Fehlentwicklungen eines von Kapitalinteressen dominierten Wirtschaftens abzielt, fundamentalistischen Marktwirtschafts-Gegnern jede weitere Diskussion erspart? Und könnte sie nicht auch jenen zum Teil offen gewaltbereiten Gruppierungen willkommene Munition liefern, die alles tun, um das Anfang Juli unter Vorsitz von Kanzlerin Angela Merkel in Hamburg geplante Gipfeltreffen der G20-Staatenlenker zu boykottieren?

Dabei brauchen wir gerade jetzt Begegnungsorte, an denen die „Weltgemeinschaft“ – noch wollen wir sie so nennen – um gemeinsame Sichtweisen zu den vielen offenen Themen der Globalisierung ringt. Spätestens seit „America first“ steigt der diesbezügliche Handlungsbedarf dramatisch an. Der Soziallehre ist das zugrundeliegende sozialethische Problem jedenfalls vertraut: Wenn alle nur mehr an sich denken – wer denkt dann an Alle? Wir werden die Antworten ohne Johannes Schasching finden müssen.

23. März 2017

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